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Schwerer Stand für Psychopharmaka

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BEIM 3. LUNDBECK PRESSEFORUM PSYCHIATRIE setzten sich Experten mit den Mythen und Vorurteilen gegenüber Psychopharmaka auseinander und diskutierten über die Möglichkeiten und Grenzen der pharmakologischen Therapie bei psychischen Erkrankungen.

PSYCHOPHARMAKA haben bei vielen Menschen keinen guten Ruf, allzu gängig sind einige Vorurteile: „Sie machen abhängig”, „Psychopharmaka verändern die Persönlichkeit”, „Ob sie überhaupt wirken, ist fraglich”, „Patienten werden nur ‚nieder-gespritzt’, um ,klein und ruhig’ gehalten zu werden”. Soweit die gängigen Meinungen. Aber was steckt wirklich dahinter? Geschichte der Psychopharmaka „Zahlreiche Wirkstoffe können psychische Funktionen beeinflussen; als Psychopharmaka werden aber nur Arzneistoffe bezeichnet, die Angstzustände, Störungen der Stimmung und Wahrnehmung sowie wahnhaftes Erleben und Denkstörungen beeinflussen”, so Univ.-Prof. Dr. Michael Freissmuth, Leiter des Instituts für Pharmakologie der MedUni Wien, der in seinem Vortrag Einblick in die Pharmakologie gab. Die heute verwendeten Psychopharmaka seien das Ergebnis von mehr oder minder zufälligen Entdeckungen, die in den 1950er Jahren gemacht wurden, er-läuterte Freissmuth. So sei z.B. bei der Suche nach Schlafmitteln „mit der Benzodiazepin-Struktur ein bis dahin unbekanntes Ringsystem synthetisiert worden, das neu-artige pharmakologische Eigenschaften hatte; im Vordergrund stand nicht mehr die dämpfende, sedierende Wirkung sondern der angstlösende Effekt.” Aus der Antihistaminika-Forschung gingen sowohl die trizyklischen Antidepressiva als auch die Neuroleptika, heute als Antipsychotika bekannt, hervor. „Diese drei Substanzklassen stellen die Vorläufer der meisten heute verwendeten Psychopharmaka dar.”

VORURTEILE ERSCHWEREN DIE THERAPIE

Tatsache sei, so Prim. Dr. Christa Rados, dass die nach wie vor verbreiteten Vorurteile und Vorbehalte gegenüber psychischen Erkrankungen häufig auch die Methoden zu deren Behandlung umfassen. „Während in anderen medizinischen Disziplinen die medikamentöse Therapie relativ hohe Akzeptanz findet und Innovationen überwiegend positiv wahrgenommen werden, ist die Haltung gegenüber Psychopharmaka deutlich kritischer”, umriss die Leiterin der Abteilung für Psychiatrie und Psycho-therapeutische Medizin am LHK Villach die Situation. Dies spiegle sich im allgemeinen Diskurs wider und Betroffene und Angehörige blieben davon naturgemäß nicht unberührt.

SPEZIFIKA BEI DER THERAPIE PSYCHIATRISCHER ERKRANKUNGEN

Dem stimmte auch Dr. Georg Schönbeck, niedergelassener Facharzt Psychiatrie und Neurologie, zu. Er betonte in seinem Vortrag „Psychopharmaka in der Praxis” die Wichtigkeit der Arzt-Patienten-Kommunikation gerade bei psychiatrischen Erkrankungen. „Nur so kann ein stabiles Arzt-Patient-Verhältnis aufgebaut werden. Und dieses ist auf Grund der Spezifika, mit welchen ein Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin bei der Verordnung von Psychopharmaka in der Praxis konfrontiert ist, außerordentlich wichtig.” Zu diesen Spezifika gehört unter anderem,

dass viele Menschen die Psychopharmaka-Einnahme als Niederlage erlebten. Weiters bestünde bei vielen Patienten bezüglich der Einnahme von Psychopharmaka ein Misstrauen, verursacht durch eine negative Presse, durch schlechte Vorerfahrungen bei sich selbst oder bei nahestehenden Personen. Schönbeck: „Es ist also wichtig, sich als Arzt die Zeit zu nehmen, den Patienten zu zuhören, ihre Ängste ernst zu nehmen und sie ausreichend aufzuklären. Es bedarf hier des Wissens und der Erfahrung, aber auch des nötigen Einfühlungsvermögens des behandelnden Facharztes. Nur so können die Ängste, Vorurteile und andere „Hürden” bei der Therapie psychiatrischer Erkrankung gemeistert werden.” Ein weiterer Punkt für den „schlechten Ruf von Psychopharmaka” sei, so Rados, dass sie oft pauschal beurteilt werden. Dabei stellten diese keineswegs eine homogene Gruppe dar. Vielmehr handle es sich um ein sehr breites Spektrum sehr unterschiedlicher Wirkstoffe, „deren In-dikationen, Wirkungsweisen und Nutzen/ Risiko-Profile so vielfältig sind, wie das Einsatzgebiet im Rahmen der unterschiedlichen psychischen Störungen. Generelle Aussagen über Psychopharmaka sind da-her meist ungenaue Verallgemeinerungen und als solche zu hinterfragen.”

VERZÖGERTE WIRKUNG: FÜR PATIENTEN OFT SCHWER ZU VERSTEHEN

Freissmuth sprach ein weiteres Problem an: Die verzögert einsetzende Wirkung vor allem bei Psychopharmaka, die bei Depressionen und Schizophrenie zum Einsatz kommen. „Das Gehirn ist ein plastisches Organ, in dem synaptische Kontakte ständig neu organisiert werden; die Nervenzellen lernen mit dem neuen Input fertig zu werden, sie werden reprogrammiert, weil sich ihre Genexpression ändert. Und das dauert eben.” Dazu kommt, dass es z.B. bei Antidepressiva nicht nur einer gewissen Zeit bedarf, bis sie wirken, auch die Nebenwirkungen sind in den ersten Tagen am stärksten, verschwinden aber im Lauf der Zeit zumeist nahezu vollständig. Darüber müssen die Patienten ausreichend informiert werden. Rados: „Behandlungen psychischer Erkrankungen erfordern meist einen mehr-monatigen Behandlungszeitraum. Auch Dauertherapien zur Rückfallverhütung können bei schweren Erkrankungen indiziert sein. In der somatischen Medizin ist eine langfristige Therapie bzw. Dauermedikation z.B. bei Bluthochdruck oder Diabetes mellitus eine selbstverständliche Anzeige Praxis. Diese sollte daher auch bei vergleichbarer Chronizität psychiatrischer Diagnosen anerkannt werden.”

FAKTOR ZEIT

Univ.-Doz. Dr. Margot Schmitz, Institut für Psychosomatik, wies in ihren Ausführungen auf einen weiteren Aspekt des „Faktors Zeit” bei der Behandlung psychiatrischer Erkrankungen hin und betonte nochmal die Wichtigkeit der Therapietreue. Denn die Erfahrung zeige, dass jede Therapie, für die mindestens ein halbes Jahr in Anspruch genommen wird, eine Verbesserung der Ausgangssituation bewirkt, unabhängig davon, ob es sich um eine pharmakologische oder psychotherapeutische Therapie handle. Daran sind aber einige Fragen geknüpft: „Wir kann man Menschen motivieren, Zeit in ihre psychische Gesundheit zu investieren? Und: Sind die Vertreter der Psychiatrie in der Lage, ihre Patienten langfristig zu betreuen? Zusätzlich stellt sich auch die Frage der Finanzierung: Wer übernimmt die Kosten für Therapien, die ein halbes Jahr dauern? Schmitz: „Diese Zeit ist aber eben unbedingt erforderlich, damit Therapeuten gemeinsam mit den Patienten auch tatsächlich Schritte setzen können, die die Lebenssituation der Patienten nachhaltig verbessern. Rasche Erfolge sind auch unter noch so großem Druck mit Sicherheit nicht zu erzielen.”

GEFÜHLSHAUSHALT INS LOT BRINGEN

Um Vertrauen in eine Therapie zu entwickeln, bedürfe es auch eines stabilen Gefühlshaushalts, der einem Orientierung gibt, so Schmitz. Bei psychischen Erkrankungen gerate jedoch gerade der Gefühlshaushalt völlig aus den Fugen. Beispielsweise der „Totalausfall” von Gefühlen bei einer Depression, in Paniksituationen oder beim „Ultra-Gau” der Gefühlsüberflutung in der Schizophrenie. Schmitz: „Hier ist der Einsatz von Psychopharmaka unabdingbar. Die Frage, ob man Psychopharmaka ablehnt, stellt sich dann ganz einfach nicht. Nur mit Hilfe einer entsprechenden Medikation kann der ,Gefühlsstrom` wieder ins Gleichgewicht gebracht werden. Ohne diese ,Basisversorgung` der inneren Gefühlswelt gibt es keine Freiheit und keine Therapiefähigkeit durch die unterschiedlichen Angebote der Psychotherapie und Psychiatrie.”

Bei Psychopharmaka krankt es am Image

FORMAT-Bei-Psychopharmaka-krankt-es-am-Image-15In Osterreich wächst die Zahl von psychisch Kranken. 2012 wurden laut Sozialversicherung Psychopharmaka im Wert von 102 Millionen Euro verschrieben. Aber „während in anderen medizinischen Disziplinen medikamentöse Therapien relativ hohe Akzeptanz finden, ist die Haltung gegenüber Psychopharmaka kritischer“, klagt Christa Rados. Psychiaterin am Landeskrankenhaus Villach. Bemängelt wird, dass die Pillen süchtig machen, die Persönlichkeit verändern und dazu dienten, Patienten ruhig zu stellen. Mit diesen Vorurteilen wollen die Arzte aufräumen.
Ein Weg dazu ist für den Psychiater Georg Schöneck, die Arzt-Patienten-Kommunikation zu verbessern. „Nur so kann ein stabiles Vertrauen aufgebaut und der Patient überzeugt werden, die Therapie nicht abzubrechen.“ Für viele psychisch Kranke gerate der ‚Gefühlshaushalt aus den Fugen“, sagt Margot Schmitz vom Institut für Psychosomatik, „und in solchen Fällen ist der Einsatz von Psychopharmaka unabdingbar.“

Neues Präparat gegen Alzheimer

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Neues Präparat gegen Alzheimer

In Österreich leiden fünf Prozent der über 65-Jährigen und bis zu 20% der über 80-Jährigen an Alzheimer. Eine Vorsorge gegen diese Krankheit gibt es derzeit  noch nicht. Das Institut für Psychosomatik unter Leitung von Margot Schmitz bringt jetzt ein Nahrungsergänzungsmittel (GoldenCaps) in die Apotheken, das sich für einen Alzheimer-Prävention eignen soll. Es besteht aus einer Kombination von Safran, Sesam, Resveratrol, Vitamin D, Eisen, Zink und Methylfolat.

In einer Doppelblindstudie (mit Placebos) wurde die Wirksamkeit an 195 Patienten getestet. Laut Aussage von Schmitz konnten die positiven Effekte von GoldenCaps in neuropsychologischen Tests nachgewiesen werden.

Dem geistigen Abbau die Stirn bieten

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Vergesslichkeit macht vielen Patienten Sorgen. Mittels Hippocampusvolumetrie lässt sich eine beginnende Demenz früh erkennen. Dann können die Patienten behandelt oder beruhigt werden.

MRT zeigt Demenzrisiko

Die automatisierte MRT-Hippocampusvolumetrie ermöglicht es, gesunde von pathologischen Alterungsprozessen im Gehirn früh zu unterscheiden. Das ermöglicht den Betroffenen, mit einem gezielten Vorsorgeprogramm der Demenz entgegenzuwirken.

Kleine Konzentrationsschwächen, wiederholte Aufmerksamkeitslücken, beginnende Vergesslichkeit, all dies kann Menschen, die sich im bisherigen Leben auf ihre geistige Fitness verlassen konnten, leicht zur Qual werden, wenn das Gehirn zu altern beginnt. Die Magnetresonanztomographie (MRT) wird in diesen Fällen seit geraumer Zeit eingesetzt, um die Ursachen abzuklären. Nachdem Tumore oder Gefäßerkrankungen ausgeschlossen wurden, bleibt die Frage, ob es sich um gesundes oder pathologisches Altern handelt. Mit der herkömmlichen MRT konnte diese Frage nicht beantwortet werden, da die neuronalen Verluste erst sichtbar werden, wenn die Degeneration ein gewisses Ausmaß überschreitet.

„Für Vorsorgemaßnahmen ist es dann aber schon zu spät“, betont Doz. Dr. Margot Schmitz, Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie und Expertin für Alzheimer-Vorsorge. „Ziel ist es, die frühen Anzeichen pathologischen Alterns des Gehirns zu erkennen, weil durch gezielte Interventionen, die früh genug einsetzen, dieser Prozess wieder rückgängig gemacht werden kann.“ Die automatisierte MRT Hippocampusvolumetrie, wie sie neuerdings in der Röntgenordination an der Wiener Privatklinik angeboten wird, ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. „Wir können pathologisches Altern des Gehirns jetzt erstmals rechtzeitig erkennen“, so Doz. Dr. Schmitz.

So funktioniert’s: Bei der automatisierten Hippocampusvolumetrie handelt es sich um ein computergestütztes MRT-Verfahren, bei dem mit hohem technischen Aufwand nach altersuntypischen Abbauprozessen im Gehirn gesucht wird. Besonderes Augenmerk wird dabei auf die graue Hirnmasse und den Hippocampus gelegt, dessen intakte Funktion von entscheidender Bedeutung für die Übertragung von neuen Informationen in das Kurzzeitgedächtnis ist.

„Das Besondere an dem neuen Verfahren ist, dass es sich erstmals um eine automatisierte Messung von Hirnvolumina handelt“, erklärte Doz. Dr. Philipp Peloschek, Radiologe der Röntgenordination an der Wiener Privatklinik. „Die Patienten kommen zu einer speziellen, hochauflösenden MRTUntersuchung, die etwa 20 Minuten dauert. Die Bilddaten werden ins Referenzzentrum der Universitätsklinik
Frankfurt – das erste und bisher einzige seiner Art – geschickt, wo sie mit Normaldaten von gesunden, gleichaltrigen Probanden verglichen werden. Anhand der Befunde, die uns zurückgeschickt werden, können wir ganz genau sehen, wo der einzelne Patient mit seinen Hirnvolumina im Vergleich zu gleichaltrigen Kontrollpersonen liegt. Gemeinsam mit Frau Dozent Schmitz werden diese Befunde dann interpretiert.“

Ein völlig neuer Weg Schrumpfungen von Hirnsubstanz als Folge zugrunde gehender Nervenzellen lassen sich mit dem MRT schon länger darstellen: mit bloßem Auge im Falle eines fortgeschrittenen Abbaus, mittels manueller Vermessung der Bilddaten im Forschungsumfeld. Die Firma jung diagnostics hat nun ein computergestütztes Verfahren entwickelt, das eine präzise, automatisierte Volumenbestimmung des Hippocampus
auf Basis von Hirn-MRT-Bildern ermöglicht und so den Einsatz des neuen Verfahrens in der allgemeinen Versorgung erlaubt. Die nötigen Kriterien für den klinischen Einsatz wurden gemeinsam mit der Universität Frankfurt unter der Leitung von Prof. Dr. Harald Hampel erarbeitet. Das dortige Referenzzentrum nahm im Jänner 2012 den Routinebetrieb auf. Die Röntgenordination an der Wiener Privatklinik war Partner der ersten Stunde. Voraussetzung für die Kooperation ist eine hohe Qualität der MRT-Bilder.

„Da wir diese besondere Qualität mit unserem modernen Scanner erreichen können, stand einer Zusammenarbeit nichts im Wege.“, so Doz. Dr. Peloschek.

Zielgruppe 50+

„Die automatisierte Hippocampusvolumetrie ist ein großer Fortschritt in der Diagnostik der pathologischen Hirnalterung“, sind sich Doz. Dr. Schmitz und Doz. Dr. Peloschek einig. „Wir können den Patienten nun einen Befund vorlegen, wo er ‚schwarz auf weiß‘ sieht, dass er etwas für seine Hirngesundheit tun muss.“ Die zentralen Aspekte in der weiteren Betreuung sind gesunde Ernährung, ein gezieltes Bewegungsprogramm, ausreichend Schlaf, die Beseitigung von (sub)- klinischer Entzündung sowie die Vermeidung von Alkohol, Nikotin und anderer schädlicher Genussmittel. „Hält man sich daran, lässt sich der Stress, der den Hippocampus zum Schrumpfen bringt, nachweislich reduzieren“, so Doz. Dr. Schmitz. Damit könne man gar nicht früh genug anfangen, denn sind erst einmal 25 Prozent des Gehirns abgebaut, wobei der Abbau in den Broca-Arealen beginnt und sich im Hippocampus von Beginn an niederschlägt, sind die Weichen in Richtung Demenz gestellt. Umgekehrt ist es möglich, einen pathologischen Altersprozess wieder in ein gesundes Altern überzuführen, wodurch die Entwicklung einer Alzheimer-Demenz in 60 Prozent verhindert werden könne, so Doz. Dr. Schmitz.

Zielgruppe des Untersuchungsprogramms zur Früherkennung pathologischer Hirnalterung sind Menschen über 50, die bemerken, dass das Gedächtnis nachlässt und neue Inhalte nicht mehr so gut gespeichert werden können wie früher. Bei diesen Menschen wird zunächst durch einfache klinische Tests grob zwischen normaler Altersvergesslichkeit und pathologischer Hirnalterung unterschieden. Erst nach Auswertung dieser Tests werden die Patienten gegebenenfalls von Doz. Dr. Schmitz zur MRT bei Doz. Dr. Peloschek in die Röntgenordination an der Wiener Privatklinik überwiesen.

„Wir können pathologisches Altern des Gehirns jetzt erstmals rechtzeitig erkennen.“ Doz. Dr. Margot Schmitz

MRT Links: Koronare Ansicht einer gesunden 76-jährigen Frau. Der Hippocampus wurde automatische detektiert (weiße Linie). Hier zeigt sich keine Verminderung der grauen Substanz.

Rechts: Hirnsubstanz einer 80-jährigen Patientin mit früher Alzheimer-Erkrankung. Die volumetrische Analyse ergibt eine signifikante Verminderung der grauen Substanz des Hippocampus (in Farbe).

So halten Sie Ihr Hirn fit

 „Vorbeugen bereits vor den ersten Warnzeichen“ 
Dr. Margot Schmitz, Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie

„Vorbeugen bereits vor den ersten Warnzeichen“ 
Dr. Margot Schmitz, Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie

Besser konzentrieren, schneller reagieren, leichter entscheiden Tipps, wie Sie Ihr Gedächtnis trainieren und verbessern können Überraschung: Kreuzworträtsel und Sudoko helfen kaum

„Das Gehirn ist ein Muskel. Damit die Windungen im Kopf schön geschmiert bleiben, sollte man bereits vor ersten Anzeichen von Vergesslichkeit mit vorbeugenden Maßnahmen beginnen“, rät Univ.-Doz. Dr. Margot Schmitz, Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie, Leiterin des Instituts für Psychosomatik in Wien und EMEA-Expertin.

Die Netdoktor-Tipps:

Bewusst vergessen: Ärgern Sie sich nicht zu lange über Dinge, die schiefgehen – so beschäftigt sich Ihr Hirn nur mit negativen Erinnerungen. Folge: Sie können sich nicht genügend auf Neues konzentrieren.

Regelmäßige Bewegung: Training (mindestens dreimal pro Woche für 30 Minuten) fördert auch die geistige Fitness, mach das Hirn flexibler. So kann es besser und schneller denken.

Pausen machen: Unser Gehirn hat einen Zeitrhythmus: Der „BRAC“ (Basis Rest Activity Cycle, zu deutsch: Ruhe-Aktivitäts-Zyklus) dauert bei Erwachsenen 90 Minuten. Danach mindestens fünf Minuten Pause machen.

Sonne tanken: Der Hypothalamus, die Steuerzentrale des Gehirns, braucht Licht zum Arbeiten. Gehen Sie deshalb mindestens einmal am Tag für 20 bis 30 Minuten spazieren oder setzen Sie sich in die Sonne.

Essen: Nicht zu viel auf einmal, besser über den Tag verteilt. Mit einem vollen Bauch denkt man langsamer, ist weniger kreativ.

Überraschung: Kreuzworträtsel oder Sudoku trainieren das Hirn nicht. Man wird durch die Routine zwar besser im Lösen der Rätsel, aber nicht flexibler im Hirn. Besser sind Strategiespiele mit immer neuen Herausforderungen.

„Um eine Führungsfunktion auszuüben, muss man sich zurücknehmen“

Gute-Chefs-Interview

Michael Schmitz, Professor für Psychologie und Management, über die Zusammenhänge von Macht und Führung sowie über die Verführungen durch Macht in Führungsfunktionen.

Format: Gibt es ein Patentrezept für gute Führung?
Schmitz: Führungsstile, Management- konzeptionen oder Managementschulen empfehlen in der Regel ein Verhalten, das sich in Fallstudien als effektiv erwiesen hat. Das Problem dabei ist, dass es den einzig richtigen Zugang zur Lösung aller Probleme nicht gibt. Jede Managementhandlung spielt sich in einem besonderen Umfeld ab – Zeit, Ort, Machtsituation in Teams oder zwischen konkreten Personen sowie die menschlichen Faktoren zwischen diesen sind immer verschieden. Das verlangt Differenzierung und ist anstrengend, aber auch lohnenswerter als 08/15-Konzepte.
Format: Wo genau liegt das Problem bei den teilweise ja sehr ausgeklügelten und praxisbewährten Systemen?
Schmitz: Viele Systeme stammen aus einer Zeit, als die Komplexität des Umfelds noch nicht so hoch wie heute war. Heute haben wir viel mehr mit nicht völlig durchschaubaren Beziehungen und Abhängigkeiten zu tun. Erfahrung zählt weniger, weil Unerwartetes und Unbekanntes häufiger eintritt. Dazu kommen neueste Erkenntnisse aus der Psychologie und der Neurowissenschaft, die in klassischen Systemen nicht berücksichtigt werden.
Format: Wie können Führungskräfte dem gerecht werden?
Schmitz: Ganz wichtig ist die Bereitschaft, sein Erfahrungswissen infrage
zu stellen. Man muss als Führungskraft wissen, dass Einzelexpertisen heutigen Herausforderungen nicht mehr gerecht werden, und in der Lage sein, das Wissen und den Input einer Vielzahl von Mitarbeitern mit unterschiedlichsten fachlichen und persönlichen Hintergründen zu Innovationen zu bündeln. Dazu ist es notwendig, ihre unterschiedlichen Bedürfnisse wahrzunehmen: Die Vorstellung, die der Vorgesetzte vom Bedürfnis nach Respekt und Anerkennung eines Mitarbeiters hat, muss nicht mit dessen eigener Vorstellung übereinstimmen. Und die wiederum nicht mit der eines anderen Mitarbeiters. Das gilt auch für die Gefühle, die Menschen in die Arbeit mitbringen. Gefühle spielen immer eine Rolle. Ein guter Chef muss in der Lage sein, das zu differenzieren.
Format: Ein ganz konkretes Beispiel?
Schmitz: Dass jeder Mitarbeiter sein Wissen einbringen soll und zurückhaltende Personen von einer guten Führungskraft dabei unterstützt werden, ist unumstritten. Aber wie schafft man das? Viele Chefs reden selbst viel. Sie haben Macht und halten ihre Meinung daher für bedeutender, was oft stillschweigend akzeptiert wird. Aber damit blockieren sie andere, ihre Meinung einzubringen, hören auch oft nicht richtig hin. Psychologische Experimente haben bewiesen, dass bei komplexen Aufgabenstellungen jene Führungskräfte, die viel reden, schlechtere Resultate bringen als jene, die fordern, Meinungen einzubringen.
Format: Auch wenn Chefs in bester Absicht Orientierung geben wollen, kann das schlecht sein?
Schmitz: Komplexe Aufgaben erfordern ein anderes Führungsverhalten als das traditionelle Verhalten, das Führungskompetenz darstellen will. Eigenschaften wie Extrovertiertheit, die Fähigkeit, Orientierung zu geben, und Ähnliches
sind meist Voraussetzung, um Führungspositionen zu erreichen. Um diese Führungsfunktion dann auszufüllen, ist es aber notwendig, sich immer wieder zurückzunehmen. Wenn ich als Chef offene Debatten und proaktives Verhalten, Veränderungsvorschläge und Initiative von Mitarbeitern erreichen möchte, aber im- mer vorab selbst sage, was ich zu einem Thema denke, ist diese Chance vertan.
Format: Sind sich Führungskräfte dieser Problematik überhaupt bewusst?
Schmitz: Dass das Erreichen einer Führungsposition und das Ausfüllen der Führungsfunktion unterschiedliche Anforderungen stellt, geht vielen Managern nicht in den Kopf. Das kommt daher, weil sie sich selbst, ihre Bedürfnislage und die Effekte ihres eigenen Verhaltens nicht genau genug kennen.
Format: Wozu führt das?
Schmitz: Beispielsweise zu Mikromanagement, was häufig von Mitarbeitern beklagt wird, Vorgesetzten aber gar nicht bewusst ist. Wenn sich Führungskräfte zu stark in die Arbeit ihrer Experten einmischen, ist die Ursache dafür oft Überängstlichkeit, die sie autoritär und kontrollierend auftreten lässt.
Format: Macht und Führung sind offenbar eine nicht unproblematische Paa­ rung. Wie sieht ein gutes Verhältnis aus?
Schmitz: Voraussetzung für gute Machtausübung durch eine Führungskraft ist die Kenntnis der eigenen Person – der Fähigkeiten, Schwächen und Bedürfnisse. Nur so können sie Macht über sich selbst erlangen. Macht über sich selbst ermög- licht, die Macht einer Funktion, die damit verbundenen Vollmachten auszuüben. Man nimmt eine Funktion nicht wahr, wenn man seine Vollmacht nicht ausübt: Mitarbeiter ohne Orientierung vor sich hinarbeiten zu lassen ist ebenso ein Führungsfehler wie ein gutes Betriebsklima über gute Er- gebnisse zu stellen. Als Führungskraft muss man sich auch Kontroversen stellen, Entscheidungen treffen, Grenzen setzen. Das muss man in der jeweiligen Situation austarieren. Wenn der Dachstuhl brennt, muss man löschen, nicht ein Symposium über Methoden der Brandverhütung abhalten. Macht ist nicht negativ, man braucht das Wort auch gar nicht zu vermeiden – Macht bedeutet letztlich, etwas machen können. Wer aber Macht um der Macht willen anstrebt, sollte besser nicht in eine Führungs- position gelangen.
Format: Es gibt also kein Patentrezept für Führung, aber sehr wohl typi­sche Grundeinstellungen
und Merkmale guter Führungskräfte?
Schmitz: Wichtig ist, als Voraussetzung, die Macht über sich selbst. Je mehr eine Führungskraft über Macht weiß und über ihren Machtbereich – also ihre Funktion, ihre Vollmachten, ihre Aufgaben –, desto besser kann sie mit den Managementherausforderungen umgehen. Dazu zählt auch die Selbsterkenntnis, dass man als Führungskraft in seiner strategischen Kapazität beschränkt ist und daher Prozesse organisieren muss, damit die Expertise, die Meinungen, die Persönlichkeiten an- derer zur Geltung kommen. Führungsqualität erweist sich auch darin, Führung im- mer wieder abzugeben – und zu erkennen, wann man sie wieder zurückholen muss.
Format: Wo bleibt da der oft zitierte Faktor Charisma?
Schmitz: Charisma als Fähigkeit, emotionale Situationen zu verstehen, zu beeinflussen, Resonanz hervorzurufen, ist sicher Kennzeichen guter Führung. Meist ist es aber ein Faktor für Mythenbildung. Steve Jobs war wahrscheinlich für Apple-Käufer charismatischer als für seine Mitarbeiter. Sicher: Narzissmus bringt voran, Paranoia hilft, Gefahren zu erkennen. Aber man sollte nicht aus Übertreibungen eine Religion machen.

Opportunisten und Illusionskünstler

Spiegel-Essay-1

Warum der Grat zwischen Macht und Machtmissbrauch so schmal ist

Für die meisten Bürger ist es eine ausgemachte Sache. Sie halten Politiker und Wirtschaftsbosse für korrupt. Und in der Tat finden sie für diese Einschätzung fortlaufend neue Hinweise.
Stefan Mappus wollte sich als Ministerpräsident mit einem großen Coup an der Macht halten. Deshalb pokerte er um den Rückkauf von Anteilen am Energiekonzern EnBW, unterließ die vorgeschriebene Wirtschaftlichkeitsprüfung und verzockte über 800 Millionen Euro Steuergelder. Bundespräsident Christian Wulff musste zurücktreten, als herauskam, dass er Sonderkredite zur Finanzierung seines Privathauses angenommen hatte, zuerst von einem Freund, dann von einer Bank, und dass er sich von einem Unternehmer in Luxusunterkünfte einladen ließ, für dessen geschäftliche Ambitionen er sich eingesetzt hatte. Helmut Kohl füllte durch Zuwendungen anonymer Spender die schwarzen Parteikassen mit Millionen. Sie verschafften ihm das ersehnte Bimbes, mit dem er sich in der Partei Loyalität erkaufte. Bis heute weigert sich der Altkanzler, seine Finanziers zu benennen.
Die moderne Variante der Geldbeschaffung heißt für Parteien „Sponsoring“. Damit kassieren sie Millionen. Die zahlenden Unternehmen erkaufen sich auf Parteiveranstaltungen Zugang zur Macht. Die Kosten für diese Nähe zur Politik können sie von der Steuer absetzen. Öffentlich beschwören Wirtschaftsbosse Anstand. Doch Bestechung ist gängige Praxis. Konzerne wie Daimler, Ferrostaal, MAN oder Siemens schmierten über Jahrzehnte hinweg Politiker, Beamte oder Staatsfirmen im Ausland, um sich lukrative Aufträge zu sichern. In Griechenland war diese Art politischer Landschaftspflege besonders beliebt. So förderten auch deutsche Firmen ein korruptes System, das den griechischen Staat in die Pleite zog und für das nun Europas Steuerzahler aufkommen müssen.
„Macht führt zu Korruption, und absolute Macht korrumpiert völlig“, räsonierte der englische Historiker und Politiker Lord Acton im 19. Jahrhundert. Zwar gibt es Mächtige, die Gutes tun, doch psychologische Studien bestätigen: Die Beziehung zwischen Macht und Machtmissbrauch ist eng. Macht verändert Menschen, auch die, die mit besten Absichten nach ihr greifen. Nicht alle in gleichem Maße, doch das ist die Tendenz: Mächtige setzen sich über moralische Bedenken leichter hinweg. Sie sind die besseren Lügner, geraten dabei weniger in innere Konflikte und empfinden keinen Stress. Wer über Macht verfügt, versucht eher andere zu manipulieren, um daraus persönlichen Nutzen zu ziehen. Mächtige werten Leistungen anderer schnell ab und schreiben sich selbst übergroße Anteile an Erfolgen zu. Sie betrachten ihre Mitmenschen bevorzugt als Objekte, um persönliche Interessen zu verfolgen.
Die eigene Meinung zählt für sie generell mehr als die Meinung anderer. Mächtige empfinden weniger Mitgefühl. Oft hören sie gar nicht richtig hin. Eigene Ansprüche und Bedürfnisse gelten rasch als selbstverständlich und genießen Vorrang. Beispiel: Wolfgang Schäuble. Der Bundesfinanzminister metzelte seinen Sprecher Michael Offer auf einer Pressekonferenz lustvoll nieder. Bis heute empfindet Schäuble weder Schuld noch Reue. Ein Mächtiger, der strotzt vor Selbstgerechtigkeit. Gern spricht er von sich majestätisch – in der dritten Person.
Mächtige verfügen über ein feines Gespür, wer ihnen nützlich sein könnte. Sie achten bei solchen Personen genau darauf, was diese ihnen zu bieten haben. Ihnen gegenüber erhöhen Machtmenschen ihre Aufmerksamkeit. Die Adressaten ihrer Gunst glauben, es gehe um sie als Person und nicht um ein durch sie besser erreichbares Ziel. Das wahre Motiv erkennen sie oft erst, wenn sie die Erwartungen nicht erfüllen. Dann reagieren die Machthaber mit Aufmerksamkeitsentzug.

Wer Macht gewinnt, hat viel zu verteilen – Posten, Projekte, Privilegien.

Wer es einmal nach oben geschafft hat, will von der Macht meist nicht mehr lassen. Das Phänomen ist in allen Parteien zu beobachten, überall sehen wir jahrzehntelang dieselben Gesichter; sie werden nur grauer. Auch Piraten sind nicht immun gegen die Droge Macht. Kaum einem Politiker, der sie einmal inhaliert hat, gelingt der Ausstieg aus der Sucht. Viele von ihnen müssen zum Abschied gezwungen werden – und erleben ihn als herben Verlust an Bedeutung und Lebenssinn.
Angela Merkel erweist sich als äußerst machtgeschickt. Wir verdanken sie Helmut Kohl. Er adoptierte sie als „Mädchen“ und ließ sie aufsteigen, weil er glaubte, sie könne es nie ganz nach oben schaffen. Doch als Kohl an sich selbst scheiterte und Wolfgang Schäuble mit nach unten zog, avancierte Merkel zur CDU-Verlegenheitsvorsitzenden. Sie erkannte, dass sie bei einer Direktwahl keine Chance hätte, Kanzlerin zu werden. Sie ließ Edmund Stoiber den Vortritt und wartete, bis die Zeit gekommen war. Sie lernte, Düpierungen auszuhalten, Bündnisse zu schmieden und Konkurrenten bei passender Gelegenheit abzuservieren. Wie skrupellos sie Parteifreunde fallenlässt, die ihren Machterhalt gefährden, zeigte sie zuletzt bei Norbert Röttgen.
An der Kanzlerin ist aber auch zu beobachten, wie Macht zu Zuspruch führen kann. Macht nährt sich selbst. Ämter geben Aura. Status garantiert Bewunderung.
Macht macht nicht einsam. Im Gegenteil. Macht zieht an. In der Euro-Krise gelingt es Merkel immer wieder, sich als Wahrerin deutscher Interessen zu profilieren, weil sie sich bemüht, den Begehrlichkeiten anderer Staaten Grenzen zu setzen. Dafür wird sie von vielen ausländischen Politikern und Journalisten angefeindet. Das verstärkt ihren Nimbus daheim – obwohl Merkel nicht viel wirtschaftlichen Sachverstand besitzt, deklarierte Positionen oft wieder aufgibt, einen mitunter rasanten Schlingerkurs fährt und (wie die meisten anderen) nicht weiß, was zu einer wirklichen Lösung der Währungsund Finanzprobleme führen könnte.
Merkel okkupiert – machtbewusst wertevariabel und hemmungslos – Positionen aus unterschiedlichen politischen Lagern. Wie bei ihrem hastigen Ausstieg aus der Atomenergie. So gewinnt sie eine Popularität, von der die Sozialdemokraten sich weitgehend lähmen lassen und als Opposition aufgeben.
Nur Sigmar Gabriel lärmt, als erratischer Selbstvermarkter, mit unterschiedlichsten Forderungen. Er ruft zur „Bändigung“ der Banken auf. Damit spricht er vielen Bürgern aus der Seele. Dann redet er über eine gemeinsame Schuldenhaftung in Europa. Doch unklar bleibt, was Gabriel wirklich will und was sinnvoll und praktikabel sein könnte. Er verwirrt fast alle, auch in seiner Partei. Er will, so scheint es, vor allem auffallen. Eitel schmiedet er Parolen und taktet so seinen ganz persönlichen Wahlkampf ein, ohne ein durchdachtes politisches Konzept.
Für Politiker zählt das Image, das sie von sich kreieren. Wir sehen immer wieder, wie Politiker Ämter übernehmen, für die sie keine nachgewiesene Qualifikation haben. Ob ihre Versprechen bei Wählern verfangen, hängt von den Hoffnungen ab, die sie bei ihnen wecken. Erfolgreich sind Politiker als Illusionskünstler. Wie Karl-Theodor zu Guttenberg. Der inszenierte sich lange geschickt als zupackend, obwohl er zauderte, als intellektuell, obwohl er Phrasen drosch. Dumm für ihn, dass er als Plagiator überführt wurde.
Politik ist der Tummelplatz für machtambitionierte Opportunisten und Schaumschläger. Sympathie ist Trumpf. Wer sich bei Wählern beliebt macht, steigt auf. Opportunisten passen sich Wählerwünschen an, ihr Kernprogramm ist Populismus, nicht Problemlösung – auch wenn sie damit die Probleme, die sich vor ihnen auftürmen, noch größer machen. Sie behaupten einfach, alles im Griff zu haben.
Menschen scheuen, was ihnen Schmerzen bereitet. Selbst wenn durch den Aufschub notwendiger Maßnahmen die Ursachen fortbestehen und die Schmerzen mit der Zeit stärker werden müssen. Menschen erleben die Ankündigung von Einschränkungen als Bedrohung, den Aufschub als Erleichterung. Opportunistische Politik bedient genau diese Bedürfnisse und die damit verbundene Irrationalität.
Die meisten Politiker haben keine ernste Absicht, Schulden zu tilgen. Sie tun nur so. Sie mögen erklären, es mit dem Sparen ernst zu meinen, doch dann fällt ihnen wieder ein Grund ein, warum es damit nicht eilig sein soll. Der tschechische Außenminister Karel Schwarzenberg hat es auf den Punkt gebracht: Die Schuldenkrise, urteilt er, sei vor allem eine moralische Krise: „Es ist eine Folge der Verantwortungslosigkeit vor allem von Politikern. Man beschimpft die Banker, aber die Politiker haben seit fast dreißig Jahren überall in Europa über ihre Verhältnisse gewirtschaftet. Sie haben mehr ausgegeben, als sie eingenommen haben. Die Politik trägt durch ihre Verantwortungslosigkeit die Hauptschuld an der heutigen Krise.“

Macht nährt sich selbst. Ämter geben Aura. Status garantiert Bewunderung.

Um zu reüssieren, müssen Politiker sich von ihren Konkurrenten markant unterscheiden. Sie bauschen Differenzen auf, reden gegeneinander statt miteinander, besonders vor Publikum. Um bestmögliche Problemlösungen geht es nicht mehr. Sie reflektieren nicht, was an Vorschlägen der anderen zu bedenken, zu würdigen, konstruktiv weiterzuentwickeln wäre. Sie beurteilen nicht nüchtern, was daran sinnvoll und vielleicht sogar besser sein könnte als an den eigenen Ideen. Und sie negieren, dass durch die kombinierte Kompetenz von Regierung und Opposition eine bessere Politik möglich wäre. Mit eitler Darstellungskonkurrenz vergeben sie die Chance, durch gemeinsames Nachdenken bessere Lösungen zu finden.
In der Wirtschaft lassen Management-Coaches für Problemlösungen und den Umgang mit Kontroversen eine konstruktivere Idee zirkulieren. Um zu möglichst guten Ergebnissen zu gelangen, ermuntern sie Diskutanten dazu, auf den Ideen des anderen „aufzubauen“. Dessen Beiträge sollen nicht als Vorlage missbraucht werden, sich selbst aufzuwerten und den anderen abzuwerten. Gerungen werden soll um kollektive Kompetenz statt um persönliches Profil. Damit gelangen sie oft zu Lösungen und Innovationen, die sie sich nie hätten vorstellen können. Voraussetzung freilich ist, dass sie ihr Ego im Zaum halten.
Journalisten verstehen sich als Kontrolleure der Macht. Sie üben dabei selber Macht aus. Sie bestimmen, welche Themen sie wie darstellen, welche sie ignorieren, wer sich womit öffentlich zu Wort meldet. Mächtige brauchen die Medien, um Meinung zu machen, und Medien suchen die Nähe zur Macht, um Informationen zu bekommen. Journalisten können Zugang zur Macht erlangen, solange sie der Macht gewogen bleiben. Anerkennung durch Macht schmeichelt. Damit steigern sie zugleich ihre persönliche Bedeutung und ihren Marktwert, und damit beginnt die Verführung, die kritische Distanz aufzugeben, die sie brauchen, um Macht zu kontrollieren. Kontrolle üben Journalisten nur aus, wenn sie Machtbeziehungen aufdecken und helfen, Sachthemen zu verstehen. Sonst tragen sie bei zur Verschleierung von Macht. Und zur Verdummung, wenn sie politische Kontroversen nicht mehr ergründen, sondern nur noch deren Protagonisten die öffentliche Arena für saftigen Schlagabtausch bereiten. So inszenieren sie – in einträchtiger Kollaboration – Machtkämpfe als verblödendes Unterhaltungsspektakel.

Schmitz, 58, lehrt Psychologie und Management an der Lauder Business School in Wien. Von dem ehemaligen Auslandskorrespondenten des ZDF erscheint in diesen Tagen das Buch „Psychologie der Macht“ (Kremayr&Scheriau-Verlag).

„Macht verändert jeden Menschen“

Machtspiele-WirtschaftsBlatt

Tücken, Fallen und die Verlockungen von Macht werden von Führungskräften zu wenig reflektiert, sagt Managementcoach Michael Schmitz. Er hält das für einen Fehler.

WirtschaftsBlatt: Herr Schmitz, Sie sagen, Macht betrifft jedermann und raten in Ihrem Buch, sich dringend mit dem Thema auseinanderzusetzen und zu schauen, wie man sich in Machtgefügen positioniert. Warum?
Michael Schmitz: Macht betrifft uns alle, und jeder muss sein persönliches Verhältnis zur Macht klären. Das beginnt damit, dass man Macht über sich selbst hat. Zu wissen, was ich will, ist eine Grundvoraussetzung dafür: Wie sehr mache ich meine Kompetenzen, Bedürfnisse und Ambitionen klar? Wie selbstbewusst trete ich auf ? Wie sehr bin ich bereit, um meine Interessen zu kämpfen und mich gegen andere zu positionieren? Welche Machtmittel habe ich? Ich muss auch wissen, was das für besondere Konstellationen sind, mit denen ich zu tun habe, wo ich auf Widerstände stoße und wo ich mir Unterstützung holen kann.
WirtschaftsBlatt: Ein Patentrezept im Umgang mit Macht gibt es nicht, oder?
Michael Schmitz: Nein. Es gibt Grundregeln, die man begreifen muss. Dazu gehört, dass man Macht nicht als etwas Unanständiges betrachtet. Eine weitere Regel lautet: Artikuliert auftreten und klar machen, was ich will. Punkt drei: Wenn ich nicht weiß, wie andere ihre Macht ausüben, laufe ich gegen Barrieren oder ins Leere. Die Vorstellung, es zähle nur die Kompetenz, ist naiv. Ich sollte auch wissen, wie sehr Macht Menschen verändert.
WirtschaftsBlatt: Wie sehr verändert Macht?
Michael Schmitz: Macht verändert jeden Menschen. Keiner ist unbeeinflusst davon. Menschen in Machtpositionen neigen dazu, bei anderen nicht mehr richtig hinzuhören oder sie nicht ernst zu nehmen. Sie schreiben sich Erfolg mehr zu als anderen, sie beanspruchen mehr Redezeit, sie unterbrechen mehr und sie können besser lügen und empfinden dabei wenig Stress. Das passiert in Abstufung mit jedem, der eine Machtposition hat. Das ist nicht immer eine schöne Veränderung der Persönlichkeit.
WirtschaftsBlatt: Manager in Machtpositionen sollten also das Gespür für ihre Mitarbeiter nicht verlieren?
Michael Schmitz: Ich muss ein Gespür dafür entwickeln, was andere als ungerecht empfinden. Und ich muss mir klar werden, wo ich in meiner Ausübung von Macht uneffektiv bin, weil ich mich von meiner Machtausübung einnebeln lasse. Mitarbeiter entwickeln die Tendenz, sich zu rächen, wenn sie sich ungerecht behandelt fühlen. 90 Prozent denken: Mit mir nicht. Die Rache kann darin bestehen, dass sie die Leistung zurückfahren, Dienst nach Vorschrift machen oder Informationen nicht weitergeben. Ich erwarte von jedem, der eine Machtposition anstrebt, eine Reflexion über die Macht. Keiner ist gegen die Versuchungen und Fallen von Macht gefeit.
WirtschaftsBlatt: Findet diese Reflexion statt?
Michael Schmitz: Nein. Die Tücken, Fallen und Verführungen von Macht werden von den wenigsten reflektiert. Es wird dann so getan, als ob das nur die anderen machen, oder es wird als Charakterfrage abgetan. Aber selbst die, die mit den besten Motiven nach der Macht greifen, werden von ihr verändert.
WirtschaftsBlatt: Wie viele sagen tatsächlich: Lieber gebe ich Macht ab, aber dafür kann ich in den Spiegel schauen?
Michael Schmitz: Sie geben eine Funktion her, aber sie haben wieder die Macht über sich, weil sie sich aus einer Situation herauszuziehen, wo sie vielleicht nur noch Spielball von Erwartungen sind. Die Verführung ist natürlich groß, sich an die Macht zu klammern. Das ist ja auch mit Annehmlichkeiten verbunden. Für viele ist das Bedürfnis, das zu erhalten, so stark, dass sie in der Position bleiben, auch wenn sie mit sich selbst einen faulen Kompromiss schließen. Da wird der persönliche Machterhalt zur Priorität.

Das Interview führte KATHRIN GULNERITS