Schwerer Stand für Psychopharmaka

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BEIM 3. LUNDBECK PRESSEFORUM PSYCHIATRIE setzten sich Experten mit den Mythen und Vorurteilen gegenüber Psychopharmaka auseinander und diskutierten über die Möglichkeiten und Grenzen der pharmakologischen Therapie bei psychischen Erkrankungen.

PSYCHOPHARMAKA haben bei vielen Menschen keinen guten Ruf, allzu gängig sind einige Vorurteile: „Sie machen abhängig”, „Psychopharmaka verändern die Persönlichkeit”, „Ob sie überhaupt wirken, ist fraglich”, „Patienten werden nur ‚nieder-gespritzt’, um ,klein und ruhig’ gehalten zu werden”. Soweit die gängigen Meinungen. Aber was steckt wirklich dahinter? Geschichte der Psychopharmaka „Zahlreiche Wirkstoffe können psychische Funktionen beeinflussen; als Psychopharmaka werden aber nur Arzneistoffe bezeichnet, die Angstzustände, Störungen der Stimmung und Wahrnehmung sowie wahnhaftes Erleben und Denkstörungen beeinflussen”, so Univ.-Prof. Dr. Michael Freissmuth, Leiter des Instituts für Pharmakologie der MedUni Wien, der in seinem Vortrag Einblick in die Pharmakologie gab. Die heute verwendeten Psychopharmaka seien das Ergebnis von mehr oder minder zufälligen Entdeckungen, die in den 1950er Jahren gemacht wurden, er-läuterte Freissmuth. So sei z.B. bei der Suche nach Schlafmitteln „mit der Benzodiazepin-Struktur ein bis dahin unbekanntes Ringsystem synthetisiert worden, das neu-artige pharmakologische Eigenschaften hatte; im Vordergrund stand nicht mehr die dämpfende, sedierende Wirkung sondern der angstlösende Effekt.” Aus der Antihistaminika-Forschung gingen sowohl die trizyklischen Antidepressiva als auch die Neuroleptika, heute als Antipsychotika bekannt, hervor. „Diese drei Substanzklassen stellen die Vorläufer der meisten heute verwendeten Psychopharmaka dar.”

VORURTEILE ERSCHWEREN DIE THERAPIE

Tatsache sei, so Prim. Dr. Christa Rados, dass die nach wie vor verbreiteten Vorurteile und Vorbehalte gegenüber psychischen Erkrankungen häufig auch die Methoden zu deren Behandlung umfassen. „Während in anderen medizinischen Disziplinen die medikamentöse Therapie relativ hohe Akzeptanz findet und Innovationen überwiegend positiv wahrgenommen werden, ist die Haltung gegenüber Psychopharmaka deutlich kritischer”, umriss die Leiterin der Abteilung für Psychiatrie und Psycho-therapeutische Medizin am LHK Villach die Situation. Dies spiegle sich im allgemeinen Diskurs wider und Betroffene und Angehörige blieben davon naturgemäß nicht unberührt.

SPEZIFIKA BEI DER THERAPIE PSYCHIATRISCHER ERKRANKUNGEN

Dem stimmte auch Dr. Georg Schönbeck, niedergelassener Facharzt Psychiatrie und Neurologie, zu. Er betonte in seinem Vortrag „Psychopharmaka in der Praxis” die Wichtigkeit der Arzt-Patienten-Kommunikation gerade bei psychiatrischen Erkrankungen. „Nur so kann ein stabiles Arzt-Patient-Verhältnis aufgebaut werden. Und dieses ist auf Grund der Spezifika, mit welchen ein Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin bei der Verordnung von Psychopharmaka in der Praxis konfrontiert ist, außerordentlich wichtig.” Zu diesen Spezifika gehört unter anderem,

dass viele Menschen die Psychopharmaka-Einnahme als Niederlage erlebten. Weiters bestünde bei vielen Patienten bezüglich der Einnahme von Psychopharmaka ein Misstrauen, verursacht durch eine negative Presse, durch schlechte Vorerfahrungen bei sich selbst oder bei nahestehenden Personen. Schönbeck: „Es ist also wichtig, sich als Arzt die Zeit zu nehmen, den Patienten zu zuhören, ihre Ängste ernst zu nehmen und sie ausreichend aufzuklären. Es bedarf hier des Wissens und der Erfahrung, aber auch des nötigen Einfühlungsvermögens des behandelnden Facharztes. Nur so können die Ängste, Vorurteile und andere „Hürden” bei der Therapie psychiatrischer Erkrankung gemeistert werden.” Ein weiterer Punkt für den „schlechten Ruf von Psychopharmaka” sei, so Rados, dass sie oft pauschal beurteilt werden. Dabei stellten diese keineswegs eine homogene Gruppe dar. Vielmehr handle es sich um ein sehr breites Spektrum sehr unterschiedlicher Wirkstoffe, „deren In-dikationen, Wirkungsweisen und Nutzen/ Risiko-Profile so vielfältig sind, wie das Einsatzgebiet im Rahmen der unterschiedlichen psychischen Störungen. Generelle Aussagen über Psychopharmaka sind da-her meist ungenaue Verallgemeinerungen und als solche zu hinterfragen.”

VERZÖGERTE WIRKUNG: FÜR PATIENTEN OFT SCHWER ZU VERSTEHEN

Freissmuth sprach ein weiteres Problem an: Die verzögert einsetzende Wirkung vor allem bei Psychopharmaka, die bei Depressionen und Schizophrenie zum Einsatz kommen. „Das Gehirn ist ein plastisches Organ, in dem synaptische Kontakte ständig neu organisiert werden; die Nervenzellen lernen mit dem neuen Input fertig zu werden, sie werden reprogrammiert, weil sich ihre Genexpression ändert. Und das dauert eben.” Dazu kommt, dass es z.B. bei Antidepressiva nicht nur einer gewissen Zeit bedarf, bis sie wirken, auch die Nebenwirkungen sind in den ersten Tagen am stärksten, verschwinden aber im Lauf der Zeit zumeist nahezu vollständig. Darüber müssen die Patienten ausreichend informiert werden. Rados: „Behandlungen psychischer Erkrankungen erfordern meist einen mehr-monatigen Behandlungszeitraum. Auch Dauertherapien zur Rückfallverhütung können bei schweren Erkrankungen indiziert sein. In der somatischen Medizin ist eine langfristige Therapie bzw. Dauermedikation z.B. bei Bluthochdruck oder Diabetes mellitus eine selbstverständliche Anzeige Praxis. Diese sollte daher auch bei vergleichbarer Chronizität psychiatrischer Diagnosen anerkannt werden.”

FAKTOR ZEIT

Univ.-Doz. Dr. Margot Schmitz, Institut für Psychosomatik, wies in ihren Ausführungen auf einen weiteren Aspekt des „Faktors Zeit” bei der Behandlung psychiatrischer Erkrankungen hin und betonte nochmal die Wichtigkeit der Therapietreue. Denn die Erfahrung zeige, dass jede Therapie, für die mindestens ein halbes Jahr in Anspruch genommen wird, eine Verbesserung der Ausgangssituation bewirkt, unabhängig davon, ob es sich um eine pharmakologische oder psychotherapeutische Therapie handle. Daran sind aber einige Fragen geknüpft: „Wir kann man Menschen motivieren, Zeit in ihre psychische Gesundheit zu investieren? Und: Sind die Vertreter der Psychiatrie in der Lage, ihre Patienten langfristig zu betreuen? Zusätzlich stellt sich auch die Frage der Finanzierung: Wer übernimmt die Kosten für Therapien, die ein halbes Jahr dauern? Schmitz: „Diese Zeit ist aber eben unbedingt erforderlich, damit Therapeuten gemeinsam mit den Patienten auch tatsächlich Schritte setzen können, die die Lebenssituation der Patienten nachhaltig verbessern. Rasche Erfolge sind auch unter noch so großem Druck mit Sicherheit nicht zu erzielen.”

GEFÜHLSHAUSHALT INS LOT BRINGEN

Um Vertrauen in eine Therapie zu entwickeln, bedürfe es auch eines stabilen Gefühlshaushalts, der einem Orientierung gibt, so Schmitz. Bei psychischen Erkrankungen gerate jedoch gerade der Gefühlshaushalt völlig aus den Fugen. Beispielsweise der „Totalausfall” von Gefühlen bei einer Depression, in Paniksituationen oder beim „Ultra-Gau” der Gefühlsüberflutung in der Schizophrenie. Schmitz: „Hier ist der Einsatz von Psychopharmaka unabdingbar. Die Frage, ob man Psychopharmaka ablehnt, stellt sich dann ganz einfach nicht. Nur mit Hilfe einer entsprechenden Medikation kann der ,Gefühlsstrom` wieder ins Gleichgewicht gebracht werden. Ohne diese ,Basisversorgung` der inneren Gefühlswelt gibt es keine Freiheit und keine Therapiefähigkeit durch die unterschiedlichen Angebote der Psychotherapie und Psychiatrie.”