Tücken, Fallen und die Verlockungen von Macht werden von Führungskräften zu wenig reflektiert, sagt Managementcoach Michael Schmitz. Er hält das für einen Fehler.
WirtschaftsBlatt: Herr Schmitz, Sie sagen, Macht betrifft jedermann und raten in Ihrem Buch, sich dringend mit dem Thema auseinanderzusetzen und zu schauen, wie man sich in Machtgefügen positioniert. Warum?
Michael Schmitz: Macht betrifft uns alle, und jeder muss sein persönliches Verhältnis zur Macht klären. Das beginnt damit, dass man Macht über sich selbst hat. Zu wissen, was ich will, ist eine Grundvoraussetzung dafür: Wie sehr mache ich meine Kompetenzen, Bedürfnisse und Ambitionen klar? Wie selbstbewusst trete ich auf ? Wie sehr bin ich bereit, um meine Interessen zu kämpfen und mich gegen andere zu positionieren? Welche Machtmittel habe ich? Ich muss auch wissen, was das für besondere Konstellationen sind, mit denen ich zu tun habe, wo ich auf Widerstände stoße und wo ich mir Unterstützung holen kann.
WirtschaftsBlatt: Ein Patentrezept im Umgang mit Macht gibt es nicht, oder?
Michael Schmitz: Nein. Es gibt Grundregeln, die man begreifen muss. Dazu gehört, dass man Macht nicht als etwas Unanständiges betrachtet. Eine weitere Regel lautet: Artikuliert auftreten und klar machen, was ich will. Punkt drei: Wenn ich nicht weiß, wie andere ihre Macht ausüben, laufe ich gegen Barrieren oder ins Leere. Die Vorstellung, es zähle nur die Kompetenz, ist naiv. Ich sollte auch wissen, wie sehr Macht Menschen verändert.
WirtschaftsBlatt: Wie sehr verändert Macht?
Michael Schmitz: Macht verändert jeden Menschen. Keiner ist unbeeinflusst davon. Menschen in Machtpositionen neigen dazu, bei anderen nicht mehr richtig hinzuhören oder sie nicht ernst zu nehmen. Sie schreiben sich Erfolg mehr zu als anderen, sie beanspruchen mehr Redezeit, sie unterbrechen mehr und sie können besser lügen und empfinden dabei wenig Stress. Das passiert in Abstufung mit jedem, der eine Machtposition hat. Das ist nicht immer eine schöne Veränderung der Persönlichkeit.
WirtschaftsBlatt: Manager in Machtpositionen sollten also das Gespür für ihre Mitarbeiter nicht verlieren?
Michael Schmitz: Ich muss ein Gespür dafür entwickeln, was andere als ungerecht empfinden. Und ich muss mir klar werden, wo ich in meiner Ausübung von Macht uneffektiv bin, weil ich mich von meiner Machtausübung einnebeln lasse. Mitarbeiter entwickeln die Tendenz, sich zu rächen, wenn sie sich ungerecht behandelt fühlen. 90 Prozent denken: Mit mir nicht. Die Rache kann darin bestehen, dass sie die Leistung zurückfahren, Dienst nach Vorschrift machen oder Informationen nicht weitergeben. Ich erwarte von jedem, der eine Machtposition anstrebt, eine Reflexion über die Macht. Keiner ist gegen die Versuchungen und Fallen von Macht gefeit.
WirtschaftsBlatt: Findet diese Reflexion statt?
Michael Schmitz: Nein. Die Tücken, Fallen und Verführungen von Macht werden von den wenigsten reflektiert. Es wird dann so getan, als ob das nur die anderen machen, oder es wird als Charakterfrage abgetan. Aber selbst die, die mit den besten Motiven nach der Macht greifen, werden von ihr verändert.
WirtschaftsBlatt: Wie viele sagen tatsächlich: Lieber gebe ich Macht ab, aber dafür kann ich in den Spiegel schauen?
Michael Schmitz: Sie geben eine Funktion her, aber sie haben wieder die Macht über sich, weil sie sich aus einer Situation herauszuziehen, wo sie vielleicht nur noch Spielball von Erwartungen sind. Die Verführung ist natürlich groß, sich an die Macht zu klammern. Das ist ja auch mit Annehmlichkeiten verbunden. Für viele ist das Bedürfnis, das zu erhalten, so stark, dass sie in der Position bleiben, auch wenn sie mit sich selbst einen faulen Kompromiss schließen. Da wird der persönliche Machterhalt zur Priorität.
Das Interview führte KATHRIN GULNERITS