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Lügen ist Liebe

Schwindeln macht das Sozialleben erst erträglich. Sogar in der Beziehung ist es mitunter ratsam, die Wahrheit zu vertuschen

Welt-am-SonntagNach neun Jahren, fand Martina, war es an der Zeit. Sie wollte Kinder und vorher noch heiraten. Weil ihr Freund, Christian ihr die Frage aller Fragen aber nie stellte, machte sie ihm irgendwann einen Antrag. Er lehnte ab. „Wenn du so fragst, wird mir klar: Ich warte seit Jahren darauf, etwas Besseres zu finden.“ Martina war am Boden zerstört: „Ich wünschte, ich hätte nie erfahren, dass er so denkt.“ Christian sagt: „Ich wollte nur ehrlich sein.“ Martina wäre lieber belogen worden. Die Lüge hat es schwer gegen die Wahrheitsliebe, die sich Menschen so gerne bescheinigen. Noch. Aus ganz unterschiedlichen gesellschaftlichen Ecken hört man in jüngster Zeit nämlich Plädoyers dafür, es mit der Ehrlichkeit nicht immer ganz genau zu nehmen. Ob Managerberater, Paartherapeuten, Philosophieprofessor – allesamt haben sie triftige Argumente für das gelegentliche oder gar systematische Lügen parat.
Wie erfolgreich das Nicht-Authentische sein kann, weiß etwa Stefan Wachtel. Der Executive Coach arbeitet mit Managern und Politikern – und rät ihnen, eben nicht echt zu sein. Man solle sich vielmehr so präsentieren, „wie man wahrgenommen werden will“, so Wachtel. Dass man Authentizität rein positiv assoziiere und auch im Berufsleben stets danach strebe, das Innere nach außen zu kehren, sei ein großer Fehler. „Wer immer so ist, wie er zu sein meint, vermittelt wenig soziale Kompetenz“, erklärt der Coach. „Jeder muss sich eine Rolle kreieren, in der definiert ist, was man sein und was man erreichen will.“ Dementsprechend solle man „professionell inszenierte Authentizität an den Tag legen“. Ein Widerspruch in sich, den der Coach aber „entscheidend für den beruflichen Erfolg“ nennt: „Lassen Sie Ihr Inneres, wo es ist!“
Vielleicht mag der eine oder andere jetzt denken, dass er nicht gut darin ist, anderen etwas vorzugaukeln, oder dass er gar nicht lügen will. Aber streng genommen belügt man sich damit nur selbst. Die meisten Menschen schwindeln ohnehin regelmäßig. Zwar nicht 200 Mal am Tag, wie es lange durch die Medien geisterte. Aber oft. So fand der US-Psychologe Robert Feldman bei Tests mit Studierenden heraus, dass sechzig Prozent der Erwachsenen in einer zehnminütigen Konversation lügen – im Schnitt zwei bis drei Mal.
Viele der Alltagslügen dienen dazu, sich in einem besseren Licht zu zeigen oder dem anderen ein besseres Gefühl zu geben. Da stimmt man jemandem zu, dessen Meinung man nicht teilt oder erfindet eine Verabredung, um sich vor einer Einladung zu drücken. „White lies“, sagt der Engländer dazu. „Harmlose Lügen“. Diese nicht ganz wahren Aussagen, darüber herrscht ein unausgesprochener Konsens, sind das Schmiermittel unserer Gesellschaft. Ohne sie wäre alles viel mühsamer, der Alltag ein Minenfeld von Kränkungen.
Doch bei den großen Themen – und auch das ist Konsens – soll man bitteschön unbedingt bei der Wahrheit bleiben. Warum eigentlich? Es fallen einem doch für das Liebesleben, für Freundesund Verwandt-
schaftsbeziehungen sofort Lügen ein, die das Leben viel leichter machen. Auch für den Belogenen.
Die Paartherapeuten Margot und Michael Schmitz haben im Juni „Ein Buch zur Sache“ – so der Untertitel – veröffentlicht, „Liebe Lust und Ehebett“ heißt es und spricht aus, was viele Menschen nicht hören wollen und andere nicht zu denken wagen. Nämlich: „Lügen gehören zur Beziehungspflege. Das Postulat ‚Du sollst nicht lügen‘ ruiniert Beziehungen.“ Und: „Erst recht treibt die Haltung in den Niedergang ,Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht‘. Damit ist für jede Beziehung schon das Todesurteil gesprochen.“ Vor allem vermeintlich ehrliche, aber letztlich destruktive Diskussionen gilt es zu vermeiden. Indem man sich eben nicht alles sagt („Deine Schwangerschaftsstreifen finde ich enorm unsexy“) – und nicht alles genau wissen will („Welche von meinen Freundinnen findest du eigentlich richtig scharf“?). Entscheidend wird das,
wenn Untreue ins Spiel kommt. Dazu muss man ein paar Wahrheiten nüchtern anerkennen: Ein Partner kann dem anderen nie alles geben, was der sich wünscht. So kommt es zu Verhältnissen, Seitensprüngen, Affären – die aber kein beziehungserschütterndes Drama sein müssen und nicht per se zeigen, dass etwas in der Beziehung im Argen liegt. Therapeut Michael Schmitz erklärt es so: „Es geht um Seitensprünge, die dem Paar-Partner nichts wegnehmen, die er nicht spürt und die den bestehenden Zusammenhalt des Paares nicht gefährden.“ Er nennt solche Affären, die Freiräume schaffen, gar „beschwingt“ – und rät eindringlich, sie durch Lügen zu verschleiern: „Wir müssen erkennen, wie das Leben nun mal ist und Denkvarianten annehmen, die helfen, die Anforderungen dieses realen Lebens zu bewältigen. So
können Paare glücklicher werden.“
Ein heimliches Verhältnis, so versichern die Therapeuten, könne sich sogar positiv auf die bestehende Partnerschaft auswirken. „Wer belebt und mit neuem Selbstbewusstsein, mit erfüllten Bedürfnissen zurückkommt, kann der Beziehung neue Impulse geben“, sagt Michael Schmitz. Aber eben nur, wenn er niemals
verrät, woher diese Impulse kommen. Häufig sind die Lügen, mit denen der Betrug gedeckt wurde, für die Betrogenen die größere Kränkung als der Seitensprung an sich. Gerade deshalb sieht Michael Schmitz keinen Grund, dem Partner diese Verletzung aktiv zuzufügen: „Mit dem Verschweigen schützt der Lügner sich selbst – aber eben auch den Partner. Er verletzt ihn nicht mit einer Wahrheit, die weder für ihn noch für die Beziehung eine Bedeutung hat.“ Daher sei es ungerecht, dem Lügenden seine Lügen vorzuwerfen. Er meint es ja gut!
Was aber, wenn sich ein Paar explizit auf gegenseitige Treue verständigt? Ein solcher Deal macht die Beziehung nicht unbedingt besser: „Der Mensch ist nicht auf Monogamie angelegt“, sagt Schmitz. Die Defizite und Kompromisse, die in einer monogamen Beziehung zwangsläufig erlebt werden, können auf Dauer unzufrieden machen.
Und dann? Bereits zwei Millionen Mal wurde das Video der Psychotherapeutin und Paarberaterin Esther Perel geklickt, die auf einer Ted-Konferenz zu „Rethinking infidelity“ dozierte: „Untreue neu denken“. Perel hält es ebenfalls für klug, den Partner und sich ein paar Wahr-
heiten zu ersparen.
„Für den Betrogenen ist es wichtig, sich die Neugierde nach Details zu verkneifen“, also Fragen nach dem wo und dem wann. Besser sei es, sich zu erkundigen, was dem Partner die Affäre bedeutet habe. Perel bietet paartherapeutische Sitzungen an, in denen sie einzeln mit den Partnern spricht und Ehrlichkeit lediglich ihr als Therapeutin gegenüber verlangt. Das Paar aber soll und muss sich nicht alles sagen. Die psychoanalytische Regel, dass Wahrheit heilt, wird auch von Margot und Michael Schmitz angezweifelt: „Im Laufe der Jahre ist bei uns die Überzeugung gewachsen, dass sie oft mehr schadet als nutzt.“
Nun fürchten manche Menschen um das Vertrauen, das Gemeinschaften zusammenhält. Tatsächlich plädiert LügenForscher Robert Feldman in seinem Standardwerk „Lügner“ aus eben diesem Grund, selbst auf Schwindeleien wie „Dein Kleid sieht toll aus“ zu verzichten.
Doch könnte man nicht langsam ein neues Verständnis von Vertrauen etablieren? Das sich dadurch definiert, den anderen ihre kleinen Tricks und Geheimnisse zuzugestehen? „Es geht beim Vertrauen nicht um einen Wahrheitsfanatismus“, sagt der Philosophieprofessor Franz Josef Wetz. Er beschäftigt sich seit mehr als zehn Jahren mit Wahrheit und Lüge. „Einander zu vertrauen bedeutet nicht, sich immer alles sagen zu wollen und zu müssen. Sondern sicher sein zu können, dass der andere das sagen wird, was für beide und die Beziehung wichtig ist. Und anderes eben nicht.“ So könne man miteinander aufrichtig sein, ohne immer ehrlich sein zu müssen.
In der Bibel übrigens wird in den zehn Geboten nur eine ganz spezielle Form der Lüge untersagt: Die Falschaussage („Du sollt nicht falsch Zeugnis ablegen wider deinem Nächsten“). Franz Josef Wetz nennt drei Formen von Unwahrheiten als zentral im Alltag: Das Verschweigen von Wahrheiten, das Leugnen von Verdächtigungen, das aktive Lügen durch das Erfinden von Geschichten.
All das klingt nicht unbedingt sympathisch – und doch gelten gerade Lügner als sozial geschickt und sensibel. Denn umgekehrt gilt: Wer häufig unverblümt die Wahrheit sagt, ist in seinem Umfeld unbeliebter. „Lügen ist keine Unart, sondern eine Fähigkeit, Kompetenz und Lebenstechnik“, sagt Wetz. In rund fünfzig Prozent der Fälle erzählen Menschen aus prosozialen Gründen die Unwahrheit. In Freundschaften und Beziehungen wird meist gelogen, um Belastungen zu vermeiden, die Beziehung vor Gefährdungen zu schützen und um das Selbstwertgefühl des Partners aufzubauen. Dass dabei gleichzeitig auch egoistische Motive erfüllt werden, darf man annehmen – und als Gewinn verbuchen.
„Ehrlichkeit ist manchmal nur grausame Gefühlsrohheit“, sagt Wetz. Er erkennt im Lügen eine ganz eigene Form der Nähe zum Belogenen: „Die Wahrung eines Geheimnisses kann von besonderem Einfühlungsvermögen und sensibler Zuneigung zeugen.“ Frauen beherrschen diese Form der Lüge übrigens besser als Männer. Und Frauen sind es auch, die sich mit
diesem Thema verstärkt auseinandersetzen. „In meine Lesungen und Vorträge kommen bis zu 70 Prozent Frauen“, berichtet Wetz. „Männer lügen, denken aber nicht so viel darüber nach.“ Insgesamt sei es ein Thema, das spalte: „Ich erfahre entweder große Zustimmung oder absolute Ablehnung. Interessanterweise steigt die Zustimmung mit dem Alter, gerade älteren Studenten ab etwa 40 Jahren sind meist auf meiner Seite, während die jungen Studierenden moralisch noch sehr rigoros sind. Denen ist das Leben noch nicht passiert.“
Dabei ist es doch so: Auch wenn die meisten Menschen die Wahrheit lautstark einfordern und für sich beanspruchen, wollen sie diese nicht bedingungslos hören. Die Forschung belegt, dass Menschen Lügen in vielen Fällen nicht nur stillschweigend akzeptieren, sondern sie sich sogar wünschen. Besonders motiviert, Unwahrheiten anzunehmen, ist man, wenn sie schmeichelhaft und konsistent mit dem eigenen Selbstbild sind. Doch damit diese Mechanismen funktionieren, muss der öffentliche Diskurs die Lüge verdammen – sonst wären die Aussagen ja nichts mehr wert.

Authentizität als Falle

Führungskräfte sollen vor allem authentisch sein. So lautet ein aktuell hoch gehandelter Managementleitsatz. Doch das Beharren auf Authentizität kann auch zur selbst gebastelten Falle werden, die jede Weiterentwicklung im Keim erstickt.

Format-Authentizität-1„Ich will mir selbst treu bleiben. Keinem etwas vormachen. Mich nicht verbiegen oder vereinnahmen lassen. Ich will ich sein. Authentisch!“ (O-Ton eines Managers)

Das Verlangen ist unter Führungskräften Kult geworden. Authentizität gilt vielen Managern als entscheidendes Merkmal für Führungsqualität. Umfragen belegen: Authentizität halten viele Führungskräfte für wichtiger als Fachkompetenz, Durchsetzungswillen, Sozialkompetenz oder Belastbarkeit.

Authentisch zu agieren, soll der Karriere nicht schaden. Ganz im Gegenteil. Manager, die auch unter schwierigen beruflichen Anforderungen bleiben „wie sie sind“, sich nicht Rollenerwartungen und (fremden) Leitbildern unterwerfen, so legen uns immer mehr Manager-Lehrer nahe, sollen sich wohler fühlen, größeren Selbstwert empfinden, mehr leisten und von Mitarbeitern als kompetenter und freundlicher angesehen werden. Kurz um: Authentische Manager sollen schlicht die besseren Führungskräfte sein, Manager, mit denen jeder gerne, für (!) die jeder gerne arbeitet.

Vorsätze und Versprechen klingen verführerisch. Das Bedürfnis, sich selbst zu erkennen, zu verstehen, zu bestimmen, was wirklich „echt“ ist, und schließlich bewahrt, geschützt, gefördert werden soll, wächst unaufhörlich. Es schafft einen boomenden Markt. Immer mehr Leute treten auf, die von sich behaupten, Suchenden den Weg zu Authentizität weisen zu können. Dazu annoncieren diverse Veranstalter eine Unzahl von Seminaren. Online-Büchhändler bieten in deutscher Sprache mehr als 300 Ratgeber an, deren Titel versprechen, authentisches Führen zu lehren. Ähnliche Titel in englischer Sprache gibt es mehr als zehnmal so viele. Die meisten kommen aus den USA. Business Schools werben in ihren Programmen für Executive Education, mit denen sie von weiterbildungswilligen Führungskräften staatliche Honorare kassieren, für Kurse zur Authentizität.

Bei aller Begeisterung wird allerdings gar nicht mehr gefragt: Wie beurteilen wir denn, wann wir authentisch sind? Und ist es gut, wenn wir so sind und so bleiben wie wir sind? Oder blockieren wir damit womöglich sogar unsere persönliche Entwicklung, weil wir uns nicht mehr in Neuland wagen?

Bleiben wir mit dem Anspruch, authentisch sein zu wollen, womöglich in Denk-, Gefühls- und Verhaltensmustern hängen, die verhindern, dass wir neue Potentiale entdecken und neue Talente entfalten?

Schauen wir uns zu diesen Fragen Beispiele aus dem wirklichen Leben an: „Trauen Sie sich das zu“, fragt ihr Vorgesetzter Hanna K. Sie ist sich nicht sicher. Als Leiterin eines Marketing-Projekt-Teams ist sie sehr erfolgreich gewesen. Die Zusammenarbeit in ihrer Gruppe organisierte sie geschmeidig, verteilte die Aufgaben passend nach unterschiedlichen Fähigkeiten und Interessen. Alle waren im Team waren engagiert dabei, entwickelten gemeinsam Ideen, probierten, variierten, pushten sich gegenseitig, behielten dabei immer die Bedürfnisse ihrer Kunden im Auge. Smartes Marketing, im Einklang mit der Strategie ihres Unternehmens. So lieferte sie mit ihrem Team immer wieder gute Resultate. Zuletzt mit einem Konzept für einen Produkt-Launch.

Nun fragt ihr Vorgesetzter sie, der selbst auf eine andere Position rückt, ob sie sich zutraut die Leitung der Abteilung Marketing zu übernehmen. Frau K. müsste dann viermal so viele Mitarbeiter führen, Verantwortung für das Gesamt-Budget übernehmen und regelmäßig dem Vorstand des Unternehmens präsentieren. „Ich weiß nicht, ob ich das kann. So viele Leute. Projekte, in denen ich selbst nicht drin bin. Ob ich da ausreichend die Kontrolle behalte? Es arbeiten bei uns auch nicht alle Teams gleich gut. Mit meinen Leuten habe ich großes Glück. Und in Vorstandssitzungen? Da soll es oft recht ruppig zu gehen. Ich weiß nicht, ob ich mir das geben möchte. Ob ich das überhaupt kann…“

Das Gespräch endete mit Zweifeln. Der Vorgesetzte von Frau K. schloss daraus, ihr fehle es an Selbstbewusstsein und Entschiedenheit. Sie sei wohl doch nicht zupackend genug. Er würde ihr wohl gar keinen Gefallen tun, wenn er sie als seine Nachfolgerin vorschlagen würde. Obwohl sie fachlich sehr kompetent, kreativ und sehr verträglich im Umgang sei. Also beschloss er, sie gar nicht erst in die Diskussion zu bringen.

Als Hanna K. schließlich erfuhr, dass jemand anderes die Position besetzen würde, musste sie schlucken. Sie war enttäuscht. Die Chefposition hätte sie schon gereizt, sich durchzusetzen, stärkeren Einfluss zu nehmen, größere Dinge zu bewegen, mehr Menschen zu führen und zu fördern, Perspektiven zu erweitern, einen höheren Status zu gewinnen. Auch wenn sie vor der größeren Verantwortung einen gehörigen Bammel hatte. Es war für sie ein irritierendes Einerseits/Andererseits, eine Mischung aus Ambition und Angst, für die sie noch keine angemessene Lösung hatte. So ließ sie sich die Entscheidung aus der Hand nehmen.

Als das geschehen war, sie ihre Chance verpasst hatte und mit ihrer Enttäuschung fertig werden musste, sagte sie sich, so haben es wohl kommen sollen. Die Konkurrenz unter den Teams in Marketing auszuhalten, die Auftritte vor dem Vorstand, dort andauernd „in den Schlagabtausch“ zu gehen, das wäre doch nichts für sie. „Mit meinen jetzigen Aufgaben kann ich tun, was ich gut kann und gern tue. Ich muss mich nicht als souveräner und härter darstellen als ich bin. Ich kann authentisch bleiben und das ist doch am besten“.

Hätte ein Mann genauso reagiert wie Frau K.? Kann sein. Aber eher nicht. Die Wahrscheinlichkeit, dass Männer ihre Selbstzweifel kaschieren ist größer als bei Frauen. Wahrscheinlicher ist, dass ein Mann, wenn er gefragt wird, ob er sich zutraut, die Aufgaben zu erfüllen, die mit einer Beförderung verbunden sind, entschieden „ja“ sagt. Auch wenn er sich selbst gar nicht so sicher ist. Die fachliche Qualifikation der Männer muss nicht größer sein, auch nicht die soziale Kompetenz. Größer ist allerdings die Bereitschaft, sich auf ein Rollenspiel einzulassen, zu dessen Skript es gehört, sich in Szene zu setzen und Selbstgewissheit zu demonstrieren. Klappern und Blenden gehört zum Geschäft. In aller Regel. Wer sich unsicher zeigt und Zweifel an den eignen Fähigkeiten ausbreitet, fördert damit eher Bedenken gegen sich selbst als Ermutigung und Promotion.

Unsicherheit und Zweifel zu äußern, mag ehrlicher sein. Aber es ist eben, wenn ein Karriere-Aufstieg zu verhandeln ist, nicht unbedingt förderlicher. Kein Vorgesetzter möchte einen unsicheren Kandidaten in eine Position hieven, der sich diese Person nicht richtig gewachsen fühlt. Scheitert der Kandidat/die Kandidatin ramponiert auch der Förderer sein Ansehen. Das Risiko ist vielen Vorgesetzten zu groß. Sie treten auf die Karriere-Bremse. Wer dieses Verhalten durch annoncierte Selbstzweifel provoziert, bewahrt sich zwar vor einem persönlichen Scheitern – und darin mag der persönliche Vorteil gesehen werden -, er oder sie nimmt sich aber auch die Chance, sich zu erproben und in eine neue Aufgabe hineinzuwachsen. Ob sie/er ihr gewachsen ist, lässt sich oft nämlich erst sagen, wenn sie/er sich auf die Herausforderung einlässt, im eignen handeln erfährt, was sie wirklich von ihm abverlangt und welche Ressourcen und Potentiale er hat, um sie zu meistern.

Wer meint, sogleich perfekt „performen“ zu müssen, verlangt von sich, etwas bereits vollständig zu können, was er vorher nicht getan, nicht geübt hat. Ein solcher Leistungs-Anspruch muss erdrücken. Er ist nicht zu erfüllen. Er nimmt die Chance, richtig zu lernen. Denn jeder, der etwas Neues lernt, macht dabei Fehler. Er kann nicht perfekt „performen“. Angst vor Fehlern, die so groß ist, dass – um Fehler zu vermeiden – Neues erst gar nicht gewagt wird, ist eine häufig auftretende Entwicklungsblockade.

Die Angst findet im eigenen Kopf statt. Bei manchen mehr, bei manchen weniger. Bei manchen vehement. Aber diese Angst mag vom jeweiligen Umfeld auch geschürt werden. In vielen Unternehmen wird zwar verkündet, Fehler seien zu verzeihen, weil sie zum Lernen dazugehörten. Doch tatsächlich ist die Fehler-Toleranz meist sehr gering. Das zeigt sich, wenn bei Fehlern immer nach „dem Schuldigen“ gesucht wird. Damit ist sofort Anklage und Reputationsverlust verbunden. Und es äußert sich zum Beispiel in Sprüchen wie „jeder darf einen Fehler machen, ein und denselben Fehler allerdings nur einmal“. Wer unter solchen Bedingungen Golf lernen müsste, würde sicher schnell aufgeben, weil er bei jedem Fehlschlag zusammen gefaltet würde. Das zu erleben, ist beschämend, beängstigend und lässt stetige Entwicklung nicht zu. Es ist absurd, aber üblich.

Wer vor neuen Aufgaben steht, Selbstzweifel für sich behält, sich freilich auch darauf besinnt, welche geforderten Fähigkeiten er sich selbst in vorherigen Jobs schon bewiesen hat, sodass Befürchtungen sich nicht unangemessen auftürmen, erhält er die Chance, zu lernen und neue Talente und Potentiale zu entdecken und zu entwickeln. Wer sich zudem zugesteht, erst lernen zu müssen, was er noch nicht kann (was intellektuelle jedem sofort einleuchtet) und Fehler emotional aushalten, eingestehen und daraus lernen kann, bringt sich selbst auf Wachstumskurs. Soll das ein Nachteil sein? Ist es unauthenisch – und somit unanständig – einem Rollen-Skript zu folgen, das einem nicht völlig entspricht, das einem aber die Möglichkeit gibt sein aktuelles Selbst zu fördern und zu einem zukünftigen Selbst zu streben, das sich vor den Aufgaben des aktuellen Selbst nicht mehr schrecken muss?

Mit dem Anspruch authentisch zu bleiben, können wir uns Fallen aufstellen. Wir richten uns in Komfortzonen ein, die passend für unser wahres Selbst sein sollen, die aber nur einen bestimmten Entwicklungsstand repräsentieren. Halten für solche Zustände jedoch für Endzustände, nehmen wir uns mit unseren Vorstellungen von Authentizität in diesen Komfortzonen gefangen. Dann gibt es keinen Ausstieg mehr – und keine Weiterentwicklung. Das kann auch Menschen blockieren, die viel von sich halten.

„Ich bin schon sehr dahinter, dass jeder seine volle Leistung bringt“, sagt Abteilungsleiter Manfred G. „Ich lass meinen Mitarbeitern die lange Leine. Jeder soll zeigen, was er kann. Aber natürlich muss ich darauf achten, dass alle in der Spur bleiben. Vertrauen ist gut. Aber als Vorgesetzter darf ich auf Kontrolle nicht verzichten. Ich muss den Überblick behalten, darauf achten, dass alles nach Plan läuft. Schließlich bin ich dafür verantwortlich, dass meine Abteilung die Resultate bringt, die von meinen Chefs erwartet werden“.

Klingt ganz vernünftig, oder? „Lange Leine“, Mitarbeitern zugestehen, dass sie für sich entscheiden, wie sie effizient und effektiv ihre Aufgaben angehen. Dennoch ein Auge darauf haben, wie es voran geht. Korrigieren, wenn nötig, damit es nicht in die falsche Richtung geht. Auf Kooperation achten. Was denn sonst?

Manfred G. klagt jedoch, dass seine Mitarbeiter nicht so spuren, wie er es sich wünscht. „Sie sollten pro-aktiv sein. Doch sie warteten zu sehr auf Vorgaben.“ Mit Problemen kämen sie zu oft zu ihm, anstatt selbst Lösungen zu finden. Sie seien nicht kreativ genug. Sobald etwas zu entscheiden wäre, stünden sie bei ihm auf der Matte. Und dann sei er gefordert. „Dann muss ich ran“.

Wenn wir G.s Mitarbeiter fragen, hören wir jedoch ganz andere Aussagen. Zum Beispiel: „G. meint meist, er wüsste am besten, wie welche Aufgaben zu erledigen sind. Man kann es ihm nie recht machen. Immer hat er etwas auszusetzen.“ – „Er mischt sich andauern in unsere Arbeit ein, kritisiert an allem rum. Und wenn ihm was nicht passt, wird er schnell laut.“ – „Wenn einer nicht das bringt, was G. sich vorstellt, entfacht er rasch ein Donnerwetter. Wenn wir sehen wie er grimmig über den Flur stiefelt, die Schultern vorgebeugt, wie ein Boxer, und raunzt, ‚den Sowieso muss ich mir mal vorknöpfen ‘, wissen wir, der wird gleich zusammengefaltet.“ – „Wenn ich es G. nicht recht machen kann, halt ich mich doch lieber zurück. Soll er doch sagen, wie er was will. Dann kriegt er es genau so. Fertig. Wenn ich ihm widerspreche, fährt er schnell aus der Haut. Das muss ich mir nicht geben.“

G. räumt durchaus ein, „dass ich den ein oder anderen schon mal direkt angehe, wenn er nicht spurt. Ich setze hohe Standards. Mancher braucht immer wieder mal einen Anstoß. Mancher braucht auch mal einen Tritt in den Arsch. Aber die Leute wissen, dass ich es nicht so meine. Wenn ich denke, ich war vielleicht etwas zu heftig, kann ich auch sagen, ‚es war nicht so gemeint‘. Und dann muss halt wieder gut sein. Wir sind ja nicht auf einem Vergnügungsdampfer. Jedenfalls hab ich mit meiner Art immer die Ziele erreicht, die mir gesetzt wurden oder die ich mir selbst gesetzt habe. Darum geht es doch letztlich. Und nur mit Freundlichkeit und Verständnis für alles und jeden, ist das nicht zu machen.“

Stimmt! Das Problem ist jedoch, dass G. Vorstellungen hat, die recht plausibel klingen, er aber nicht merkt, was er in anderen mit seinem Verhalten auslöst. Seine Mitarbeiter stört, dass es sich, wie sie meinen, zu sehr einmische, sie nicht lasse, sondern andauernd mit Mikro-Management nerve. Sie erhalten von ihm nicht die Wertschätzung, die sie sich von ihrem Vorgesetzten wünschen würden. Sein Auftreten empfinden sie vielmehr oft als Angriff. Daher nehmen sie sich lieber zurück, bleiben in der Defensive – und bringen eben nicht ein, was sie einbringen könnten.

G. sieht sich nicht als ungehalten und aggressiv. Er spricht von, nun ja, von gelegentlichen „Temperaments-Ausbrüchen“. Die gehörten halt zu seinem Naturell. „So bin ich eben. Wohltemperiert kann ich nicht sein. Dann würde ich nichts voran bringen. Und die Ergebnisse meiner Arbeit sprechen eindeutig für mich.“

Ist das nun authentisch? G. würde sagen, ja. Er ist wie er ist. Er sieht keinen Grund, an sich etwas zu ändern. Wenn müssten sich die anderen ändern. So jedoch kann G. sich nicht weiter entwickeln. Und auch nicht seine Mitarbeiter. Das ist ein gravierendes Führunggs-defizit. G. bleibt in seinen Denk- und Verhaltensmustern hängen und blockiert damit die Entwicklung einer angenehmeren und besseren Zusammenarbeit.

Manager weisen Schwächen oft aus als Pendant ihrer Stärken. Als könne es das eine nicht ohne das andere geben. Wer energisch ist, rechtfertigt so seine Wutausbrüche, wer auf Details achtet, deklariert seinen Kontrollzwang und sein Mikromanagement zur notwendigen Übung. Wer sich so sieht und trotzig Authentizität reklamiert, schottet sich ab gegen Veränderung. Feedback, das darauf hinweist, wird überhört oder es mag gehört, aber nicht ernstgenommen werden.

Wer in Routinen stecken bleibt, tut nur, was er schon immer getan hat und entwickelt sich nicht weiter. Neue Erfahrungen machen wir, wenn wir uns in neuen Aktivitäten und Projekten engagieren, mit neuen Leuten und Charakteren zu tun haben, die uns mit anderen Erfahrungen, Zugänge und Denkweisen herausfordern, wenn unsere bestehenden Annahmen immer wieder überprüfen, verändern, was wir tun, verändern, wie wir etwas tun.

Neue Aufgaben erfordern neues Verhalten. So erweitern wir unseren Horizont, finden neue Perspektiven, Chancen und Ziele.

Aus solchen Verhaltensweisen können wir neue Konzepte über uns selbst entwickeln. Indem wir uns selbst verändern, scheint für uns auf, wer wir sein können. In neuen Herausforderungen erkennen wir neue Potentiale und neue Facetten unserer Persönlichkeit. Wir erweitern unsere Identität.

Veränderung kann anstrengend sein. Sie verlangt, aus der eigenen Komfortzone hervorzutreten, Dinge zu tun, die man zuvor nicht getan hat, die daher auch nicht auf Anhieb so gelingen, wie man es gerne hätte. Wer neues ausprobiert, kann von sich nicht erwarten, sogleich ein Top-Performer zu sein. Er wird Fehler machen. Das gehört dazu. Die Bereitschaft ich zu entwickeln, verlangt die Bereitschaft zu lernen, verlangt die Bereitschaft, Fehler zu machen, Rückschläge einzustecken, Umwege zu gehen, Ziele aufzugeben, neue (erreichbare) Ziele zu erkennen. Wer gelassen und spielerisch an diese Aufgabe geht, wer austestet, was möglich ist, wird erfolgreich sein.

Trainer, Manager, Götter

Sie sind inzwischen die wahren Stars ihrer Teams. Wie eine neue Generation begnadeter Fußballtrainer Mannschaften mit modernen Coaching-Methoden zum Erfolg führt. Und was Manager und Führungskräfte davon lernen können.

Trainer-Manager-GoetterDer Hype ist ausgebrochen. Um Guardiola, Klopp, van Gal, Mourinho und Ancelotti, sogar um ein High-Potential wie Thomas Tuchel, der sich erst noch beweisen muss. Selbst der schweizerisch-temperierte Marcel Koller ist auf dem Weg zum Kult-Status.

Fußball-Trainer sind zu Super-Stars geworden. Die Charismatiker unter ihnen ragen sogar über ihre Mannschaften hinaus. Erobert haben sie in ihrer schillernden und umsatzträchtigen Branche unumstritten den Posten des CEOs, des „Chief Executives Officers.

Die großen Könner zeigen uns, was Leadership bedeutet und wie sehr Erfolg abhängt von der Fähigkeit , Teams smart zu coachen. Top-Coaches weisen all die Kompetenzen vor, die CEOs in allen Unternehmen haben müssten. Dass sie fachlich top sind, ist selbstverständlich. Darüberhinaus müssen sie scharfe Analytiker sein, Taktiker und Strategen, versierte Kommunikatoren, die im Team Verständnis und Zusammenhalt schaffen, die unaufhörlich einzelne Talente fördern, notorische Individualisten und große Egos integrieren, Rollen und Aufgaben klar definieren, verstehen, mit welcher Team-Konstellation sie die größte Funktionalität und damit die besten Ergebnisse erzielen. Sie müssen schnell und überlegt entscheiden, geistig flexibel bleiben, Druck aushalten, Konflikte bewältigen und Macht ausüben – entschieden, effektiv, mit Autorität und großer Zustimmung.

Die Kernkompetenzen. Das ist viel verlangt. Viele CEOs können die Kombination solcher Kern-Kompetenzen nicht vorweisen. Doch bei ihnen fällt das nicht so auf. Sie tun so, als könnten sie alles und vermeiden es so gut es geht, sich irgendeine Blöße zu geben. In Österreich besonders.

Große Trainer wissen, dass sie großen Anteil an Erfolgen haben, aber sie wissen auch, dass Erfolge ihnen nicht allein gehören. Wenn der FC Bayern verliert, schreibt Pep Guardiola sich dafür die Schuld zu. Wenn die Mannschaft siegt, gilt ihr das Lob des Trainers. Aber immer analysiert Guardiola, was noch zu verbessern wäre – bei Siegen genau so wie bei Niederlage.

Natürlich sind Star-Trainer große Egos. Und sie sind eitel. Aber sie wissen, dass sie sich selbst im Griff halten, sich selbst so managen müssen, dass erstklassige und eigensinnige Spieler ihnen folgen. Trainer müssen Kooperation entwickeln, die sich für alle Beteiligten lohnt, die jedem eine angemessene Anerkennung und Wertschätzung beschert.

Sind Mannschaften nicht so erfolgreich, wie Vereinsführung, Fans und Medien es erwarten, werden Trainer schnell zu Sündenböcken. Dabei sind auch sie nie allein für Niederlagen verantwortlich. Trotzdem werden sie schnell entlassen, schneller als leitende Angestellte sonst wo.

Jürgen Klopp, der gerade nicht mehr so strahlende Strahlemann, ist eine Ausnahme. Borussia Dortmund stürzte mit ihm ab. Fans und Verein hielten dennoch zu ihm. Wegen seiner Verdienste. Als Klopp den Aufschwung nicht mehr schaffte, kündigte er selbst an, seinen Posten zum Ende der Saison zu verlassen. Klopps Abschied zieht sich seither hin als großes öffentliches Drama.

Der kühne Erneuerer.Er hatte Dortmund, als das Unternehmen BVB kurz vor dem Bankrott stand, wieder an die Spitze der Liga geführt, wurde zweimal deutscher Meister, Pokalsieger, Finalist in der Champions League. Der Trainer verkörperte den Verein. Im wahrsten Sinne des Wortes. Niemand sonst stand so wie er für dessen Zusammenhalts-Motto: „Echte Liebe“. Klopp beeindruckte als kühner Erneuerer, als Innovator, mit fanatischem Überfall-Fußball, mit herzhaftem Kampf, mit überschäumenden Emotionen, als Inspirator und Motivator junger ambitionierter Spieler, die alle etwas werden und alle etwas erreichen wollten.

Klopp förderte zielstrebig Talente. Einige entwickelten sich zu Weltklassespielern – wie Mario Götze und Robert Lewandowski. Doch die besten wurden ihm aus seiner Truppe immer wieder weggekauft, Götze und Lewandowski ausgerechnet von Dortmunds schärfstem Widersacher, dem FC Bayern München. Das zeigt: Wie gut ein Trainer/CEO sein kann, hängt auch ab von den Finanzen, über die er verfügen kann. Und Talente zu fördern und Talente zu halten, das sind zwei verschiedene Aufgaben. Das gilt für alle Branchen.

Bei der Borussia in Dortmund offenbarten sich nach sieben Klopp-Jahren jedoch auch hausgemachte Probleme – Schwächen, die bei erfolgreichen Unternehmen oft auftreten: Das Spielkonzept, die Strategie, überraschte keinen mehr. Sie verlor ihre Wirksamkeit. Dennoch vertraute der Trainer unverändert auf sein System. Doch irgendwann hatte andere Vereine Dortmunds aggressives Pressing, Gegen-Pressing und das schnelle Umschaltspiel durchschaut. Vom BVB kopierten sie hemmungslos, was ihnen nützlich erschien und entwickelten gegen die Dortmunder immer wirksamere Defensiv-Strategien. Borussia kam damit zunehmend schlechter zurecht. Da gelang es Klopp auch nicht mehr, die Mannschaft mit seinen Emotionen anzuzünden.

„Empowerment“ von Mitarbeitern, ein in der Management-Lehre gerne angeführtes Konzept, funktioniert nur bedingt als psychologisches Aufputschmittel. Empowerment kann nur gelingen, wenn es zur Erweiterung von Mitarbeiter-Können führt – und dazu gehört im modernen Fußball ein erweitertes Verständnis der Spieler von Strategie und Taktik, von situationsabhängigen Varianten, von Flexibilität und Rollenwechseln. Dazu allerdings müssen Spieler bereit und intelligent genug sein.

Klopps Nachfolger als Chef-Trainer, Thomas Tuchel, gilt als jemand, der die Defizite, die sich in Dortmund aufgetan haben, beseitigen könnte. Tuchel, vormals lediglich Trainer in Mainz, kann keine Titel vorweisen. Aber er führte vor, wie mit taktischer Flexibilität sogar Mannschaften zu bezwingen sind, die über weit bessere Spieler verfügen. Tuchel ist ein Tüftler. Trainingseinheiten plant er bis ins letzte Detail. Von Bayerns Pep Guardiola abgeschaut, wie während eines Spiels die Ausrichtung und den Rhythmus so grundlegend zu ändern ist, dass Gegner nicht zu ihrem eigenen Spiel finden. Learning by imitation.

Der Gamechanger. Pep Guardiola ist schon im Alter von 44 eine Trainer-Ikone. Bei den Bayern setzt er zielstrebig ein Konzept durch, das Management-Erklärer als „disruptiv innovation“ bezeichnen würden – eine Erneuerung, die alte Konzepte obsolet macht und die ganze Branche durchschüttelt.

Guardiola versteht die Komplexität des Spiels und kann sie erklären. Er hat den Fußball nicht neu erfunden, wie viele seiner Anhänger verklärend schwärmen. Aber er hat Fußball ernsthaft studiert, seine Geschichte, seine Entwicklung, verschiedene Trainer und Trainings- und Taktik-Konzepte. Er ist – wie alle Großen – gelehriger Schüler und innovativer Autodidakt. Schüler war er von Cruyff, Menotti und Sacchi, ohne durch sie sein Denken beschränken zu lassen. Er ist fleißig und akribisch. Guardiola ist eloquent, aber er hört mindestens genau so gut zu. Er will immer Neues lernen. Er saugt alles auf. Wenn glaubt, von anderen lernen zu können, auch wenn es mit Fußball direkt gar nicht zu tun hat, ist er hochkonzentriert. Er stellt sich nicht in den Vordergrund, sondern er hört zu und fragt und fragt und fragt.

Guardiola erkennt gute Idee und setzt sie neu zusammen. Er muss sehen in seinem Team verstehen, wer welches Potential für welche Aufgaben hat – und dieses Potential fördert er. Zeigt sich in einem Spiel, dass etwas nicht so gelingt, wie er es sich vorgestellt hat, ändert er die Aufstellung und die Taktik, womöglich mehrfach während eines Matches. Dabei ist allerdings wichtig festzuhalten: Das gelingt nur, weil er die verschiedenen Varianten seinen Spieler zuvor erklärt und sie mit ihnen ausreichend trainiert hat. Und wie gesagt: Dazu müssen Spieler /Mitarbeiter engagiert und intelligent sein. Wo es an Bereitschaft und an Kompetenz fehlt – an technischer, geistiger und sozialer – gelingt ein solcher Zugang nicht.

„Pep hat uns Fußball neu beigebracht“, schwärmen Top-Kicker wie Jerome Boateng oder Manuel Neuer. Die Anforderung an sie heißt: Multi-Funktionalität. So erzielen sie eine Wirkung, die ein frei-flotierendes Ensemble von Stars nie entfalten könnte. Philipp Lahm zum Beispiel kann als Verteidiger von rechts nach links rotieren, genau so gut defensives Mittelfeld spielen oder als Rechtsaußen vorstürmen, herrliche Flanken schlagen und sogar selbst Tore schießen. Guardiola bringt mit seinem Coaching Team-Effektivität und –Effizienz bringt auf ein neues Niveau.

Das Alphatier.Verlieren kann er schlecht verlieren. Wie alle Alpha-Tiere. Aber Guardiola ist Ästhet und Perfektionist. Fußball soll leicht und schön sein. Er will das perfekte Spiel. Obwohl er weiß, dass Perfektion im Fußball eine Fiktion ist. Für Guardiola ist die Fiktion permanenter Ansporn. Als CEO ist er, wie jeder Firmen-Chef, verantwortlich für Resultate. Aber es tut ihm in der Seele weh, wenn er nicht die Spieler zur Verfügung hat, die für seine ideale Spielweise braucht. „Ich würde gerne anders spielen, als wir heute gespielt haben. Aber ich muss natürlich so spielen, wie sich die Mannschaft aufstellt“, erklärte er zerknirscht nach einem Spiel gegen Dortmund, das Bayern ohne Kreativität, mit einer defensiven Taktik gewann. Es war abgezockter „Ergebnis-Fußball“. Kein schönes Spiel. Guardiola gewann, weil er (dieses Mal) seine Ideale aufgegeben hatte. Auch das ist bisweilen notwendig für Erfolg – weil die Welt sich nicht ausrichtet nach Idealen.

„Nur das Triple zählt“, verkündete Guardiola so eben und es klingt gar nicht arrogant. Mit dem FC Barcelona gewann er in seiner Trainer-Zeit von 2008 bis 2012 dreimal die spanische Meisterschaft, je zweimal den nationalen Cup, die Campions-League und die FIFA-Clubweltmeisterschaft. Der FC Bayern filetierte gerade den FC Porto 6:1, steht im Champions League Halbfinale und gilt als Favorit für den Titel. Die deutsche Meisterschaft haben sie in diesem Jahr bereits gewonnen.

Würde die Forbes-Liste der erfolgreichsten CEOs Fußball-Trainer berücksichtigen, stünde Guardiola dort ganz weit oben. Für die Branche müsste er den Spitzenplatz einnehmen. Fußball-Fans gilt er schon als Trainer des Jahrhunderts. Sein Kult-Status wäre mit dem von Steve Jobs zu vergleichen.

Großartige Kicker brauchen großartige Trainer. Ohne großartige Trainer wären im modernen Fußball auch die besten Kicker nicht so großartig. Stars strahlen es dann so hell sie können, sind so gut wie es eben geht, wenn sie in der richtigen Mannschaft spielen, wenn das Team, in dem sie kicken, funktionell optimal aufgestellt ist. Wenn jeder versteht, mit welcher Strategie und Taktik, die Mannschaft ins Spiel geht. Was jeder einzelnen zu tun hat. Wie alle zusammenarbeiten müssen. Das muss ihnen ein großartiger Trainer beibringen.

„Partizipation“ – auch so ein Schlagwort aus der Management-Lehre. Angeblich Garant für Team-Erfolg. Aber Trainer wie Guardiola wissen, wie vorsichtig sie mit einer solchen Empfehlung umgehen müssen. Einmal hat er sich in München breitschlagen lassen, eine Taktik und eine Aufstellung zu wählen, wie einige Führungsspieler und Funktionäre es wollten. Prompt verlor der FC brutal – zuhause 0:4 gegen Real Madrid. Und schied aus der Champions League aus. Trainer müssen die Mannschaft, das Team, aufstellen. Sie müssen entscheiden, wer zum Team gehört und wer nicht, wer in welcher Funktion. Die Entscheidung dürfen sie sich nicht nehmen lassen. Diese Aufgabe und die damit verbundene Macht üben sie rigoroser aus, als viele CEOs sonst wo. Ähnliche Machtfülle haben sonst wohl nur Opern-Intendanten. Trainer finanzstarker Clubs verfügen über ein Ensemble von Stars. Ihre Aufgabe besteht darin, aus diesem Ensemble ein Team zu schmieden. Das verlangt enorme Coaching-Leistung.

Die Teamspieler. Joachim Löw, der deutsche Nationaltrainer, musste für die WM in Brasilien mit einem Team ohne Stars anreisen. Doch mit seinem Coaching gelang es ihm, das Team selbst zum Star werden zu lassen. Sicher, er könnte hervorragende Kicker aufstellen, aber keiner der Deutschen gehört zu den internationalen Superstars. Im Dress des DFB kickt kein Ronaldo, kein Messi, kein Neymar. Löw könnte die individuellen Fähigkeiten seiner Spieler durch kluge Rollen- und Aufgaben-Verteilung und durch gescheite Taktik so gut zur Geltung bringen, dass dieses Team besser war als alle anderen, die mit Superstars aufwarten konnten.

Löw lieferte auch ein gutes Beispiel für „Partizipation“. Gegen Algerien wäre die deutsche Mannschaft fast ausgeschieden. Danach hat Löw sich von seinen gestandenen Führungsspielern (und nicht von irgendwem) erklären ließ, was an seiner Taktik nicht gut funktionierte. Daraufhin änderte er die Aufstellung und die Spielweise. Die Mannschaft blühte auf. Und holte den Titel.

Es kommt für Trainer darauf, ein Zusammenspiel zu gestalten, indem individuelle Fähigkeiten optimal zu einer Mannschaftsleistung kombiniert werden. Das gelingt nicht mit Konzepten vom Reisbrett. Fußball ist – wie Management – keine Ingenieur-Wissenschaft. It’s people business, würden Leadership-Lehrer sagen.

Spieler müssen sich gefördert und verstanden fühlen. Sie müssen verstehen, was von ihnen erwartet wird. Trainer müssen es für sie „sichtbar“ machen. Mitunter im wahrsten Sinne des Wortes. Marcel Koller ließ für den schon als ewiges Problemkind angesehenen Marko Arnautovic ein Video zusammenschneiden, indem er ihm genau die Arnautovic-Szenen vorspielte, die er künftig von ihm sehen wollte. Der Spieler verstand besser, was er auf dem Platz zeigen muss und er sah, dass er wahrgenommen und geschätzt wurde. Seither kickt er besser, mit mehr Disziplin und Fokus und Bezug auf die Mannschaft.

Fußballerische Qualität und Teamfähigkeit müssen für Trainer/CEOs im Vordergrund stehen. Und natürlich Leistungsbereitschaft. Marcel Koller erzählt, als er Nationaltrainer in Österreich wurde, sei ihm aufgefallen, dass den Spielern 80 Prozent Leistung gereicht haben. Danach schalteten sie zurück. Was passierte, wissen wir.

Abschied vom Heldentum

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CEOs sollen Unternehmen zu großen Erfolgen führen. Doch reüssieren können sie nur, wenn sie starke Teams um sich bilden und daher Team-Coaching als Kernkompetenz begreifen.

Wenn das kein Grund ist, sich feiern zu lassen. Leadership auf höchsten Höhen. Kredenzt mit kräftige Schlagzeilen: „Tim Cook machte Apple zum wertvollsten Unternehmen der Welt“. „Marchionne haucht Chrysler neues Leben ein“. „Bezos lässt seine Effizienzmaschine Amazon weiter auf Hochtouren laufen“. CEOs als Helden. Sie sollen „den Unterschied“ ausmachen, diejenigen sein, die Unternehmen zu immer neuen Gipfeln führen, Industrien umkrempeln, die Welt verändern.

Wir alle wünschen uns Helden. CEOs, die grandiose Erfolge vorweisen, heben wir in den Manager-Himmel. Sogar den blassen Tim Cook. Bis vor kurzem wollte ihm kaum jemand zutrauen, dass er seinen schillernden Vorgänger würde ersetzen können – Steve Jobs, von Forbes noch zu Lebzeiten hochgelobt zum CEO des 21. Jahrhunderts.

Der große Führungs-Irrtum. Magazine wie die Harvard Business Review schüren Heldenmythen und geben vor, Rezepte auszustellen, wie jeder von uns ein Steve Jobs werden könne. Seriöse Harvard-Forscher wie Richard Hackman zucken ob solcher Versprechen jedoch zusammen. Hackman warnt vor dem „Leader Attribution Error“ – dem verbreiteten Irrtum, große Leistungen einzelnen Führungs-Personen als Erfolge zuzuschreiben. Mit diesem Irrtum steht Cook für Apple, Marchionne für Fiat und Chrysler, Bezos für Amazon, Mateschitz für Red Bull, Eder für Voestalpine. Sie alle repräsentieren Erfolg. Beeindruckende Manager. Durchaus mit einem gewissen Etwas, das sie selbst nicht erklären können und doch zu Glanz beiträgt. Aber nüchtern betrachtet: Keiner von ihnen ist das Unternehmen. Zu fragen ist allenfalls: Welcher Anteil an den Bilanzen gebührt ihnen unter dem Strich?
CEOs verbuchen Erfolge für sich, auch wenn sie nur glücklichen Umständen zu verdanken sind. Boomt ihre Branche, profitieren sie davon, aber es ist kein persönlicher Verdienst. Verfügen sie in ihrem Unternehmen über viel Cash, hineingeschossen von Investoren oder angehäuft von Vorgängern, können sie gro ße Summen in die Entwicklung von neuen Produkten und Dienstleistungen stecken und aufwendige MarketingKampagnen starten. Sie können Optionen verfolgen, die CEOs mit weniger Barem nicht haben. Jeder CEO hat mit Beschränkungen zu tun, die ihm durch interne und externe Bedingungen, die er nicht aushebeln kann, gesetzt sind.
Führungsfähigkeit besteht darin, Beschränkungen und Chancen realistisch einzuschätzen. Führung muss die kritischen Funktionen im eignen Unternehmen erfolgreich steuern und den Betrieb immer wieder an veränderte Markt-Bedingungen anpassen – an Veränderungen, die immer rasanter, grundlegender und schneller stattfinden. Sonst kann ihr Unternehmen nicht prosperieren und – letztlich – nicht überleben.

Die Langzeitstudie der Harvard-Professoren. Welchen Anteil ein CEO am Wohl eines Unternehmens beanspruchen kann, untersuchten die Harvard-Professoren Noam Wasserman, Bharat Anand und Nitin Nohria. Sie verglichen die Ergebnisse von 531 Konzernen aus 42 Branchen über einen Zeitraum von 18 Jahren und kamen zu dem Ergebnis, dass der CEO im Durchschnitt für cirka 14 Prozent des Erfolges steht. Immerhin.
Allerdings: 86 Prozent des Erfolges hängen ab von sonstigen Bedingungen, zum Beispiel von verfügbarem Kapital, Technologie, Zustand bedeutender Konkurrenten, der Entwicklung der Branche oder der Wirtschaft insgesamt – und von der Effektivität und Effizienz der Zusammenarbeit im Unternehmen, also von dessen Teamfähigkeit.
Steigen wir genauer in die HarvardDaten ein, stellen wir fest, dass der CEOEinfluss von Branche zu Branche stark variiert. Er kann bei zwei, aber auch bei 20 Prozent liegen. Dieser Unterschied resultiert daraus, dass Branchen sehr unterschiedliche Margen erzielen. Energy Drinks und Rasierklingen bringen weit mehr Return On Investment als Stahl oder Lebensmittel. Der Effekt hat nichts zu tun mit unterschiedlicher Führungsfähigkeit.
Wasserman und Kollegen stellten mit aufwendigen Simulations-Verfahren zudem fest: Bei mehr als jedem zweiten Unternehmen trugen die tatsächlichen Führungsentscheidungen nicht zu besseren Ergebnissen bei als simulierte ZufallsEntscheidungen. Bei mehr als der Hälfte der Unternehmen wäre der Output also auch ohne Führung der gleiche. Helden-Mythen können bei kritischer Betrachtung keinen Bestand haben. Lassen wir uns von ihnen in der Oper betören, aber nicht in der Management-Analyse. Kein Einzelner kann alle Faktoren überblicken und beeinflussen, die den Erfolg eines Unternehmens ausmachen. Märkte werden immer unüberschaubarer, die Bedingungen für Erfolg immer komplexer und sie ändern sich immer schneller – durch neue Technologien, wechselnde Kundenwünsche, schwankende Wechselkurse, Einfuhrund Ausfuhr-Regelungen, Spekulationen großer Hedgefunds, Krisen in Staatshaushalten, die das Wirtschaftsgefüge global erschüttern.

Großflächig organisierte Kompetenz ist das neue Zauberwort. Komplexität und Tempo der globalen Wirtschaft verlangen komplexe Expertisen und großflächig organisierte Kompetenz. Kluge Analyse, Planung, kontrollierte Umsetzung, Anpassung an Veränderung – all das ist nur durch smarte funktionelle Teams zu bewältigen. Auch die kreativsten, hartnäckigsten und ausgebufftesten Entrepreneurs brauchen viele hochqualifizierte Menschen, die koordiniert zusammenarbeiten, in ihren jeweiligen Bereichen und bereichsübergreifend, die sich mit Fähigkeiten und Leistungen gegenseitig ergänzen und so gemeinsam das Große und das Ganze schaffen.
Sie wollten Innovationen fördern, behaupten alle Top-Manager. Aber sie schaffen dafür nicht die Team-Kultur, die Ideen unterstützt. Für die große Mehrheit der Unternehmen liegt das Problem nicht im Mangel an Ideen, wie Alf Rehn, einer der neuen Stars in der Management-Forschung, nachweist.
Ideen werden genug entwickelt. Doch Unternehmen nutzen sie nicht. Mitarbeitern, die Ideen präsentieren, hören Kollegen und Vorgesetzte meist nicht richtig zu. Innovative Charaktere gelten eher als Störer eingeschliffener Verhaltensund Denkmuster denn als produktive Impulsgeber. Sie rennen weitgehend an gegen Gleichgültigkeit.
Gleichgültigkeit signalisiert: Teams agieren nicht funktionell (für Innovation) und Führungskräfte versagen, TeamFunktionalität zu coachen, so dass Teams effizient und effektiv sind, Ideen angemessen aufnehmen, gemeinsam weiter entwickeln und schließlich umsetzen. Funktionelles Teamwork ist kein Slogan, sondern ein Erfordernis. Moderne Unternehmen brauchen Führungskräfte, die echte Team-Player sind, selbst Teams aufstellen und coachen können. Teamarbeit verlangt eine gute Verständigung untereinander, gemeinsame Ziele, Zuordnung von Rollen und Verantwortung, die Fähigkeit, unterschiedliche Mentalitäten und Meinungsverschiedenheiten auszuhalten, Vertrauen zu schaffen, Fehler zu erkennen, Rückschläge wegzustecken, Ideen einzubringen, Konflikte zu lösen, persönliche Ambitionen zurückzustellen, wenn dadurch das Große und Ganze beeinträchtigt würde.
Um große Erfolge zu schaffen, müssen Egoismus und Individualismus gezügelt werden. Und doch darf beides nicht völlig abgedreht werden. Denn aus Eigen-Interesse entsteht Antrieb, Kraft, Ausdauer, Durchsetzungswille, und Individualität schafft Kreativität. Das zeigt uns der Fußball: Besondere individuelle Leistungen tragen oft zum entscheidenden Erfolg bei – das eigenwillige Dribbling eines Stürmers, der drei gegnerische Spieler umkurvt und dem vierten durch die Beine schießt, unhaltbar für den Torwart. Dafür lieben wir Stars wie Robert Lewandowski, Arjen Robben, Lionel Messi, James Rodriguez oder Christiano Rolando. Aber wir sehen auch, wie sehr Individualisten Erfolge verhindern, wenn sie zu sehr sich selbst im Sinn haben und Mitspieler übersehen, die sich in besserer Position befinden und mehr zustande bringen könnten.

Die richtige Rollenverteilung. Die großen Herausforderungen für Organisationen und Unternehmen, notiert Leadership-Professor Peter Hawkins, bestünden nicht mehr in einzelnen Menschen oder Teilen, „sondern in den Schnittstellen und Beziehungen zwischen den Menschen, Teams, Funktionen und verschiedenen Interessengruppen (Stakeholdern).“ Menschliche Faktoren sind entscheidend. Mindestens so wie kluge Prozesse und zweckmäßige Strukturen. Durch die Verteilung von Rollen, durch Funktionsoder Arbeitsplatzbeschreibungen ist nicht garantiert, dass alles so zusammenläuft wie erhofft. Optimale Funktionalität erwächst nirgendwo von selbst. Teams müssen nicht nur gut aufgestellt werden, die einzelnen Team-Player müssen auch richtig gut zusammenspielen. Und zwar über die gesamte Spielzeit. Welche Kompetenzen und welche Typen ein Team braucht, hängt von den Aufgaben ab, die es erfüllen muss und von den Bedingungen, unter denen es agiert. Aufgaben und Bedingungen müssen verstanden werden. Nur dann können Teams ihre Funktion erfüllen, effektiv und effizient sein: die richtigen Dinge tun und das, was sie tun, richtig machen.

Die neuen Führungskonzepte. So sehr wir uns bemühen mögen, Komplexität zu reduzieren, es gibt für sie keine einfachen Lösungen. Das behaupten nur Flachdenker. Mit zunehmender Komplexität der Aufgabe werden Abstimmung, Verständigung, Orientierung, Evaluierung und Korrektur immer wichtiger – und schwieriger. Das verlangt neue Führungskonzepte – die Bündelung von Kompetenzen. Einzelne können nicht mehr für Führung zuständig sein. Verlangt sind Führungsteams, die selbst Teamarbeit voranbringen. Jeder im Unternehmen muss für seine Aufgaben und seinen Beitrag zum Gesamterfolg eine angemessene Verantwortung übernehmen. Wissen, Können, persönliche Haltung müssen zusammenpassen. Funktionelles Team-Coaching muss die verschiedenen Ebenen eines Unternehmens erreichen.

Welche fachlichen Kompetenzen Teams brauchen, um erfolgreich zu sein. Funktionelles Coaching zielt darauf ab, die erforderlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten so zu entwickeln, dass sie ineinandergreifen, aufeinander aufbauen, sich wechselseitig verstärken und so zu einem größeren Nutzen und Erfolg führen. Selbstverständlich sind entsprechende fachliche Kompetenzen verlangt, darüberhinaus die Fähigkeit und die Bereitschaft, sich zuzuhören und zu verständigen, neugierig zu bleiben und offen für neue Ideen zu sein. Darüber hinaus gilt es die unterschiedliche Fähigkeiten zu nutzen, die Vielfalt zu akzeptieren und wertzuschätzen, Spannungen auszuhalten und Konflikte zu bewältigen, Willensstärke aufzubauen und Ausdauer zu stärken, Emotionen zu verstehen und zu managen. Die weiteren Punkte sind: Das engere und weitere Umfeld zu verstehen, Risiken kompetent zu bewerten, Krisen zu bewältigen, persönliche Energie klug zu erneuern, körperlich und geistig gesund zu bleiben, die Regeln und Einflüsse der Macht zu verstehen, im Verständnis von KontextundHerausforderungzuführen, und Komplexität zu bewältigen.

Die Gefahr, in Isolation zu geraten. TeamsbrauchensolchegebündelteKompetenz, und sie brauchen Zusammenhalt. Sie dürfen ihre Aufmerksamkeit nicht nur auf sich selbst richten, sondern müssen berücksichtigen, in welchem Netzwerk und Umfeld sie agieren. Was sie tun, müssen sie stets zu ihren Interessengruppen vermitteln. Sonst geraten sie in Isolation und verlieren ihre Maßstäbe für Erfolg. Verlangt ist aufmerksames Monitoring und stetige Verbesserung. Wenn komplexe Aufgaben zu bewältigen sind, müssen Führungskräfte kollektive Vernunft organisieren, wissen, wo die eigene Kompetenz aufhört, wo sie durch andere ergänzt werden muss. Führungskräfte müssen dafür offen sein. Auch Vorstände stoßen an ihre Kompetenzgrenzen. Statt an sich den Anspruch zu stellen, Vorgaben zu machen, denen andere zu folgen hätten, sollten sie Prozesse organisieren, die alle mit einbeziehen, die zum Verständnis und zur Lösung komplexer Probleme beitragen können. Dazu wird es oft nicht reichen, Wissende aus der eigenen Organisation zu Rate zu ziehen. Denn oft wird der Organisation selbst das notwendige Wissen fehlen. Komplexität erfordert Diskurs. Die Organisation von Diskursen ist eine Führungsaufgabe. Diskurse entstehen nicht von selbst. Die Führung setzt die Agenda und beschreibt, welche Aufgaben zu lösen sind und welche Experten dafür gewonnen werden müssen. Damit unterschiedliche Expertisen zur Geltung kommen, müssen Führungskräfte Kontexte und Kulturen schaffen, in denen Kommunikation stattfindet, die zu Verständigung führt. Sind die persönlichen Beziehungen nicht intakt, entsteht daraus kein Bezug aufeinander, der Lösungen erlaubt. Fachliche Kompetenz bleibt Grundvoraussetzung. Doch die allein reicht nicht. Mehr denn je ist Führung Vermittlung, Kommunikation, Moderation, Team-Arbeit und Team-Coaching.

„Zuhören benötigt viel innere Kraft“

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KURIER-Diskussion. Ein intensives Gespräch kann zur Herausforderung werden – und dabei viel Vertrauen schaffen

Anderen Menschen vertrauensvoll zuhören können: Das ist Voraussetzung für eine friedliche Zukunft – im Großen wie im Kleinen. Das war der Tenor beim KURIERGespräch „Zuhören: Was ist das?“ Montagabend im Raiffeisen Forum in Wien, moderiert von KURIER-Herausgeber Helmut Brandstätter.
„Wir müssen über Persönlichkeitsbildung die Ich-Stärke der Menschen erhöhen“, sagt der Theologe Paul Zulehner. „Wir brauchen Menschen, die sagen, ,es ist super, dass der andere anders ist als ich und ich von ihm etwas lernen kann.‘ Denn erst dann erwacht das Interesse, dem anderen zuzuhören – wenn ich das Gefühl habe, dass er mich bereichert, und nicht, dass er mich bedroht. Da sind viele Emotionen im Gange, bevor man das Ohr überhaupt erst aufmacht.“
Menschen mit einem schwachen Ich hingegen könnten Leuten nicht zuhören, die anders sind als sie, so Zulehner: „Sie haben Angst, dass diese sie in ihrer inneren Schwäche bedrohen.“
„Zum Zuhören benötigen Sie sehr viel innere Kraft“, sagt die Psychiaterin und Unternehmensberaterin Margot Schmitz. „Weil sie viel hören werden, was sie nicht hören wollen.“ Bei Scheidungen etwa halte oft ein Ehepartner dem anderen vor: ,Das habe ich dir doch schon 1000mal gesagt – und du hast es immer noch nicht verstanden.‘ Schmitz: „Aber warum hat er es nicht verstanden? Weil er es nicht verstehen will.“ Hören sei überwiegend eine emotionale Sache.

Längerfristig

Mit Zuhören könne Vertrauen aufgebaut werden – „aber dafür braucht es Zeit, das ist eine längerfristige Investition in die Beziehung zu einem anderen Menschen.“
Und diese Bereitschaft zur Investition, zur Auseinandersetzung, gehe zurück: „Beziehungen sind kurzlebiger geworden“, so Schmitz. Damit trete aber auch diese hohe Kunst der Investition in den anderen in den Hintergrund: „Man trifft sich dann lieber mit denen, die alle das Gleiche denken und reden.“
„Aber das ist das Ende jeder persönlichen Entwicklung“, betont Zulehner. „Wenn ich mich nicht mit Menschen zusammentue, die anders sind als ich, dümple ich nur vor mich hin.“
Um wirklich zuhören zu können sei auch die Erfahrung der Stille notwendig: „Wir müssen von dieser zugedröhnten Welt ein wenig Abstand bekommen und in die Stille gehen, um wieder die leise Musik der Grund-
wirklichkeit zu vernehmen.“ Gerade Kinder würden einen lehren, Gespräche zu führen, die man zunächst vielleicht nicht für sinnvoll hält und die auch nicht immer angenehm sind, sagt Schmitz.„Aberesistdiegrößte Herausforderung überhaupt, Menschen zuzuhören, die man zunächst vielleicht nicht so ernst nimmt, die einen aber lehren, dass man sie ernst nehmen muss.“ Um Radikalisierungen zu vermeiden, sei es wichtig, in der Gesellschaft genügend Bildungsangebote und Angebote zum Zuhören zur Verfügung zu stellen.
„Jeder Mensch ist in der Lage gut zu sein – wenn er keine Angst hat“, sagt Zulehner. „Und es ist immer die Angst, die böse macht.“ Zuzuhören und im Gespräch zu bleiben sei entscheidend. „Wir müssen in unserer Umwelt schauen: Wo ist jemand, der ein großes Ohr braucht?“

Kurier-Diskussion

„Den anderen verstehen können“

Hörprobleme. Betroffene suchen lange keine Hilfe und ziehen sich zurück

Bei Hörproblemen geht es „nicht darum, lauter zu hören – es geht im Regelfall darum, den anderen verstehen zu können“, sagt Oliver Lux, Geschäftsführer von Hansaton, beim KURIER-Gespräch.
„Irgendwann merkt man, dass man aus den Umfeldgeräuschen, aus dem Störlärm heraus die Stimme nicht mehr herausfiltern kann“, so Lux. „Aber der Mensch ist ja sehr adaptionsfähig und sucht lange keinen Arzt und keinen Akustiker auf, sondern vermeidet einfach bestimmte Situationen – etwa gewisse Lokale mit viel Hintergrundmusik und hohem Lärmpegel.“ Dies gehe oft über viele Jahre. „Viele ziehen sich zunehmend zurück und versuchen, ihren scheinbaren Makel zu umschiffen.“ Den Ausdruck „scheinbarer Makel“ wählt er bewusst, sagt Lux: Denn in den meisten Fällen kann ein Hörverlust, was auch immer die Ursache dafür ist, entweder durch eine medizinische Behandlung, durch ein Hörgerät oder ein Implantat zumindest in weiten Teilen überbrückt werden.

Leidensdruck

Trotzdem kommen die Betroffenen in der Regel „erst dann zu uns, wenn es einen gewissen Leidensdruck gibt. Wenn zum Beispiel der gut hörende Partner zusehends genervt ist, der Fernseher sehr laut eingestellt ist oder der eine dem anderen unterstellt, dass er bestimmte Dinge absichtlich nicht hört. Deshalb motivieren wir unsere Kunden, auch immer den Partner mitzubringen“.
Das Ohr sei das einzige Sinnesorgan, das durch ein Implantat vollständig ersetzt werden kann, betont Lux. Heute könne Menschen durch Implantate eine Hörqualität ermöglicht werden, die früher unerreichbar war. Erhalten Kleinkinder ein Cochlea-Implantat, ermögliche dieses die notwendigen Impulse, um das Gehirn und Emotionen zu entwickeln und alle von den Eltern ausgelösten liebevollen Geräusche mitzubekommen: „Durch das Hören erleben wir Emotionen, Sprache, Musik. Ohne all diese Erfahrungen ist das Leben um vieles ärmer.“