Weise Worte

Welt-KolumneUnlängst schrieb ich einen Artikel zum Thema „Lügen in der Beziehung“ – die These: Der Partner muss nicht alles wissen, wir dürfen, nein, wir sollen einander Geheimnisse lassen und um Affären zu verschleiern darf man auch lügen. Ja, das provozierte viele Leser, die meist anderer Meinung waren – wenn es nach den Kommentaren ginge, wären alle immer ehrlich, Lug und Betrug nur eine krasse Ausnahmeerscheinung unter wenigen, seelenlosen Wesen. Es kommt nicht gut an, Wahrheiten über die Lüge auszusprechen. Umso wichtiger sind die, die das öffentlich tun.
Etwa das Ehepaar Margot und Michael deren neues Buch „Liebe, Lust und Ehebett“ Standardlektüre für alle Frischverliebten, Moralapostel und langjährige Paare sein sollte. Darin finden sich nämlich für alle Beziehungsphasen so viele schlaue und auch unpopuläre Sätze, dass man sie eigentlich auf T-Shirts drucken und verteilen müsste. Etwa wenn es um unrealistische Erwartungen an eine große Seelenverwandtschaftsliebe geht: „Wir führen uns selbst hinters Licht: Liebe soll wie Verliebtheit sein. Aber das geht nicht.“ Oder wenn es um das richtige Streiten geht: „Wir müssen die Wünsche hinter den Vorwürfen lesen lernen.“ Sie stellen Fragen, deren Antworten wichtig sind: „Denkt einer von uns, da müsste doch jemand sein, der besser zu mir passt?“ Und scheuen sich eben auch nicht vor dem Affären-Thema: „Seitensprünge sind nicht unbedingt ein Beleg dafür, dass etwas in der Beziehung dramatisch schiefgegangen wäre.“ „Bindung sollte kein Gefängnis schaffen, sondern Loyalität und Freiheit bieten.“ „Unbedingte Ehrlichkeit ist rücksichtslos.“
Sie provozieren nicht, sondern erklären ihren Standpunkt auch aus wissenschaftlicher Sicht. Und können damit ein paar Dinge geraderücken, das Bild von einer vermeintlich idealen Beziehung relativieren: Liebe ist nicht wie im Film. Es wird anders, wenn die Verliebtheit endet. Sie wird enden. Das ist normal. Man kann aber damit arbeiten. Eine Affäre muss nicht das dramatische Ende von allem sein. Und so weiter. Ich glaube, ich mag dieses Buch so, weil es einfach mal cool bleibt und das so emotionalisierte Liebes-Beziehungs-Thema mit einer realistischen Weltsicht angeht. Anders als Leser, die ja noch niemals gelogen haben.
Nicola Erdmann