Verliebtheit, Sex, Beziehung: „Ein bissl realistischer bitte …“

Wer weniger Illusionen hat, hat mehr von der Liebe. Das wollen die Paar-Berater Margot & Michael Schmitz mit Ihrem neuen Buch belegen. Wer fremdflirtet, gut lügen kann und vernünftig verhandelt, ist der wahre beziehungsmeister. Wir baten die Autoren, selbst ein Ehepaar, zum Talk.

WOMAN_PartnerschaftAlle wollen’s, aber längst nicht alle kriegen es auch hin: eine Beziehung, die Freude macht. Am Anfang mag ja noch alles eitel Wonne sein, doch mit der Dauer wird die Zweisamkeit immer ungemütlicher. Die Statistik sagt es klar: In den ersten zwei Jahren nach Eheschließung beschreiben nur mehr 52 Prozent der Frauen ihre Beziehung als sehr glücklich, 20 Jahre später sind es nur noch sechs Prozent. Den Männern geht es ähnlich. Einen Hauptgrund für die liebestechnischen Niederlagen sehen die Paarberater und Eheleute Dr. Margot und Dr. Michael Schmitz (schmitz.at) in der irrigen Annahme, „dass Partnerschaft Glück bescheren soll, ohne dass es Arbeit macht!“ – woanders strengen wir uns nämlich selbstverständlich für Ziele an. Dazu kommen Illusionen. „Die Menschen sind nicht monogam veranlagt“, gibt Margot Schmitz, Fachärztin für Psychiatrie und Mutter von ExSchwimmstar Markus Rogan, 33, sowie von Rosa, 19, ein Beispiel, und sieht in „kleinen Ausrutschern“ keinen Weltuntergang. Wichtig wäre es, in Beziehungen Dinge genauso auszuverhandeln wie überall anders. Mit ihrem Mann, einem Psychologen und Journalisten, hat sie das Buch „Liebe, Lust und Ehebett“ geschrieben, in dem die beiden Klartext reden. Ebenso wie in unserem Interview.

»Liebe heißt ja, die Schwächen des anderen zu servicieren und nicht, sie vorzuwerfen oder für nicht existent zu erklären.«

WOMAN: Für wen haben Sie dieses Buch geschrieben?
MARGOT SCHMITZ: Für alle, die nicht glauben, dass mit der Hochzeit die Liebe von selbst ausbricht. Die genug Realitätssinn haben, um zu wissen, dass dann die Einhaltung eines ernsthaften Versprechens erst erarbeitet werden muss.
WOMAN: Die meisten träumen ja doch von einer Liebe bis ans Lebensende!?
MARGOT SCHMITZ: Aber gibt es das überhaupt? Gibt es eine freiwillige, lange Beziehung, die nicht auf Umwegrentabilität, Versorgung, Mutlosigkeit, Gewohnheit basiert? Wenn man hört, wie Leute, die 20 oder 30 Jahre verheiratet sind, stöhnen und wie sie sich zueinander benehmen, dann würde ich glauben, das ist zumindest die Ausnahme.
WOMAN: Sie sind mit Ihrem Buch angetreten, das zu ändern. Was schlagen Sie vor?
MICHAEL SCHMITZ: Es hilft schon mal sehr, wenn man die Fähigkeit hat, den anderen wahrzunehmen. Zu merken, was ihm guttut und was ihn verletzt.
MARGOT SCHMITZ: Wenn man sich was erarbeiten kann, dann: füreinander wichtig, aber nicht alles sein. Der Anspruch „du bist mein ganzes Herz“ ist Schwachsinn. Genauso wie das Hochhalten unverbrüchlicher Treue. Denn fast alle begehen doch irgendwann diese sogenannten Todsünden. Der Mensch ist eben nicht für Monogamie geschaffen. Daher ist es besser, sich einen Plan zu erarbeiten. Was tut man mit all den Dummheiten, die passieren werden? Zumal man mit einem neuen Partner die gleichen Spielchen erleben wird.
WOMAN: Wie kann so ein Plan aussehen?
MICHAEL SCHMITZ: Jedes Paar sollte einen Plan haben, was jeder für sich und was beide zusammen wollen – ein Bild von der gemeinsamen Zukunft. Der Plan sollte auch vorsehen: Wie achten wir auf unsere Verbundenheit? Dazu müssen Partner sich regelmäßig gemeinsame Zeit nehmen, mitbekommen, was den anderen beschäftigt, wie er sich entwickelt. Und dann ist es auch hilfreich, sich zu verständigen, wie wichtig Treue für jeden ist und wie man damit umgehen will, falls einer untreu wird. Wenn es zu einer Affäre kommt und sie auffliegt, gehen allerdings schnell viele gute Vorsätze verloren. Daher ist es so wichtig, zu wissen, warum man zusammen ist, und immer wieder eine Bestandaufnahme zu machen: Was läuft gut, was freut uns aneinander und miteinander und welche Wünsche gehen nicht in Erfüllung? Haben wir überhaupt noch gemeinsame Ziele?
WOMAN: Oder man sagt: Ich hab halt nur Beziehungen, solange es gut klappt, und dann auf zur nächsten!
MARGOT SCHMITZ: Das macht aber auf Dauer sehr unglücklich. Zumal die Pausen dazwischen immer länger werden, die Sehnsüchte immer größer und die Auswahl immer magerer.
MICHAEL SCHMITZ: Die meisten Menschen wünschen sich eine dauerhafte Beziehung. Aber nicht jede Partnerschaft hat die Kraft, ein Leben zu halten. Und wenn es nichts mehr gibt, das einen freudig zusammenhält, dann muss man sie aufgeben. Die Gefahr ist nur, dass viele enttäuscht nach etwas anderem suchen, ohne zu überlegen, mit welchen falschen Vorstellungen sie in die Beziehung gegangen sind. Wenn man immer weiter einem Ideal nachrennt, wird das zum ewigen Frust.
WOMAN: Ihre Hauptmessage ist offenbar: Leute, seid ein bissl realistischer!
MARGOT SCHMITZ: Ja, ganz richtig. Liebe heißt ja, die Schwächen des anderen so gut wie möglich zu servicieren. Nicht sie vorzuwerfen oder für nicht existent zu erklären, sondern dafür gemeinsam zu trainieren. Jemand, der seine Socken immer liegen lässt, wird sie dann, statt immer, häufig liegen lassen. Und dann muss man sagen: „Toll!“ Um das geht’s. Um solche Kleinigkeiten. Jemand, der nicht kochen kann, kann lernen, aufzuwärmen. Die realistische Erkenntnis ist: Aus einem super Essensaufwärmer wird kein Chefkoch, aber es erfüllt den Zweck, den man anstrebt: heute mal nicht fürs Kochen zuständig zu sein.
MICHAEL SCHMITZ: Am Anfang findet man noch alles toll am anderen, später nerven die Kleinigkeiten. In der Zeit der Verliebtheit gibt es keine ausgebrannten Birnen, keine Zahnpasta, die ausgeht, und keine leere Klorolle. Viele können es dann auch schlecht akzeptieren, wenn ihnen selbst etwas wichtig ist, das den anderen aber nicht interessiert. Den anderen ungekränkt in seiner Andersartigkeit zu nehmen, das ist die wahre Herausforderung.
WOMAN: Die Verliebtheit hat die Natur gut eingerichtet. Ohne rosarote Brille würde so manches Paar nie zusammenkommen …
MARGOT SCHMITZ: Eben. Ich bin mir nicht so sicher mit der Verliebtheit. Weil sie den oft ohnehin nicht so üppig vorhandenen Verstand (lacht) zusätzlich vernebelt. Dieser Wahnsinn gaukelt einem vor: Es geht auch ohne Arbeit. Man muss gar nichts für die Beziehung tun. Es wäre besser, wenn man schön langsam über eine Freundschaft zur Beziehung käme. Das Problem ist allerdings, dass man sich dann nicht nur einen schnappen würde. Denn ohne Verliebtheit gibt es ja keine Ausschließlichkeit.
MICHAEL SCHMITZ: Ich muss da widersprechen. Verliebtheit ist schon toll. Ich wünsche jedem, dass er dieses Gefühl erlebt. Am besten mit seinem Partner immer wieder.
WOMAN: Und das geht?
MICHAEL SCHMITZ: Das geht. Es gehört allerdings zeitweise eine gewisse Distanz dazu. Dass man sich auch mal voneinander entfernt. Dass man dem anderen seine Eigenheit lässt und dann schaut, wie er sich entwickelt. Wenn ich meine Frau oft so in Gesellschaft sehe, und ich würde sie noch nicht kennen, könnte ich mich glatt neu in sie verlieben.
WOMAN: Man hört aber oft, dass viele sich an das gute Aussehen und andere Qualitäten des Partners so gewöhnen, dass sie es gar
nicht mehr wahrnehmen?
MARGOT SCHMITZ: Das passiert, wenn man keine Überraschungen bringen kann. Wenn man ewig die gleiche Rolle von schön, lieb, folgsam oder sonstwas spielt. Wer will sich schon das ganze Leben das gleiche Stück anschauen? Spannung ist absolut notwendig. Wenn ich sage, dass ich meinen Mann vollkommen
berechnen kann, könnte man den Sargdeckel über der Beziehung zuschlagen. Es müssen Geheimnisse bleiben. Man muss sich fragen: Was macht er schon wieder? Ein bisschen Spionage darf sein, aber bloß keine Paranoia.
WOMAN: Puh, das ist ja wirklich alles eine Gratwanderung.
MICHAEL SCHMITZ: Ja, eine ewige. Sorry, Liebe ist Arbeit.
WOMAN: Und der Sex wird mit den Jahren auch nicht unbedingt spannender.
MARGOT SCHMITZ: Man wird für den Partner jedenfalls attraktiver, wenn man bei anderen zieht. Es gibt nichts Spannenderes, als wenn der Ehemann von anderen angeflirtet wird. Und es ist auch hilfreich, wenn man selbst kein unverkäufliches Modell ist. Daher sollte man entsprechend eitel sein, „in Shape“ bleiben und einen guten Friseur kennen.

»Ich würde das gar nicht so genau wissen wollen. Würde ich es mitbekommen, bekäme ich wohl zuerst einen Tobsuchtsanfall.«

WOMAN: Das ist aber riskant. Was, wenn der Flirt zu einem Seitensprung wird?
MARGOT SCHMITZ: Abenteuer-Sex sollte man als etwas sehen, das mal passieren kann. Aber man sollte sich sicher sein: Er findet eh nix G’scheiteres als mich.
MICHAEL SCHMITZ: Es ist mit Affären so wie mit Krisen. Wir kommen besser klar, wenn wir akzeptieren, dass sie eintreten können. Dann achten wir auch mehr auf Anzeichen und können einiges im Vorfeld tun. Eifersucht kann ein gutes Frühwarnzeichen sein. Wenn man sie anspricht und dann gemeinsam überlegt, wie sie entsteht und ob sie einer angemessenen Wahrnehmung entspricht. Ein Paar kann aushandeln, mit welchem Verhalten und mit welchen Zugeständnissen es Eifersucht eindämmen will. Mit einer Affäre kann aber auch ein neues Leben beginnen. Sie kann ein Anstoß sein, sich zu besinnen und eine Beziehung zu retten.
WOMAN: Würden Sie denn eine Affäre Ihres Partners akzeptieren?
MICHAEL SCHMITZ: Ich würde das gar nicht so genau wissen wollen. Würde ich es mitbekommen, bekäme ich zuerst wohl einen Tobsuchtsanfall. Weh tut es immer. Aber unsere Beziehung hat so viel Zusammenhalt und ein so stabiles Fundament, dass ich mich bemühen würde, darüber hinwegzukommen. Eine Affäre ist ja keine alternative Liebe.
MARGOT SCHMITZ: Ich würde ein Theater machen. Aber eine Affäre wäre ein falscher Grund, sich zu trennen.
WOMAN: Soll man den Fehltritt gestehen?
MICHAEL SCHMITZ: Nein, unbedingte Ehrlichkeit ist rücksichtslos. Warum den anderen belasten, wenn es der Partnerschaft nichts wegnimmt?
MARGOT SCHMITZ: Ohne Vertrauen geht keine Beziehung, ohne Lügen auch nicht. Gut lügen allerdings.
WOMAN: Das kann sicher auch nicht jeder. Aber wenn es um langweilig gewordenen Sex geht, helfen Lügen auch nichts mehr. 74 Prozent der Frauen in fixen Beziehungen, so schreiben Sie, klagen über Lustlosigkeit.
MARGOT SCHMITZ: Ja, weil sie nicht im Mittelpunkt stehen. Weil sie das Gefühl haben, sie sind für ihn nicht der Nabel der Welt. Da möchte sie etwa eine Nummer im Bett beginnen, und er schaut lieber Fußball. War einfach der falsche Zeitpunkt. Auch das kann man übrigens verhandeln. „Okay, der Sonntag gehört dir, und für Samstag stell ich das Menü zusammen.“
MICHAEL SCHMITZ: Ein anderer Punkt: Wenn ich denke, meine Sexualität kommt aus einer automatischen Geilheit und ich will Druck ablassen, führt das bei Männern oft zu hastigem Rammelsex. Frauen lassen sich aber anders auf Sexualität ein, wollen sich annähern, einen Tanz tanzen. Zu schweren Enttäuschungen kommt es, wenn der Mann nach dem Orgasmus gleich aus der Intimität aussteigt. Die „Sportschau“ aufdreht. Er hat beim Sex gar keine Beziehung hergestellt. Auf so etwas hat frau bald keine Lust mehr.
WOMAN: Sie sind ein Psychologen-Ehepaar. Sind Sie im Beziehungs-Vorteil, weil Sie wissen, warum der Partner wie reagiert?
MARGOT SCHMITZ: Nein, die Psychologen können es auch nicht besser. Und das mag ich gar nicht, dass man dem anderen etwa sagt: „Jetzt verdrängst du aber“ oder „du bist im Widerstand“. Was soll das bringen?
MICHAEL SCHMITZ: Das Einzige ist viel-leicht die Bereitschaft, zuzugeben, dass nicht nur einer Recht haben kann.
MARGOT SCHMITZ: Was auch gar nicht geht, ist, wenn einer sich ständig als Opfer sieht. Eine Partnerschaft gelingt nur, wenn ich nicht in Schuld und Unschuld einteile. Beziehung ist nie richtig oder falsch, sondern etwas, das ständig neu verhandelt werden muss. Wo nicht einer als der alleinige Trottel hervorgehen kann. Oder einer ist der Herr, der andere der Knecht. Das funktioniert zwar, aber ausreichend schlecht.
WOMAN: Sie sind seit 20 Jahren verheiratet. Ihre Rezepte, die ja auch auf Ihren Erfahrungen basieren, bewähren sich offenbar. Soll man heiraten?
MARGOT SCHMITZ: Man soll nicht heiraten, man kann, wenn man nicht muss.
WOMAN: Wie meinen Sie das?
MARGOT SCHMITZ: Gerade als Frau muss ich mir genau überlegen, ob ich da jemanden an meine Seite krieg, der ein zusätzliches Asset ist. In Sachen Hilfe, Geld, Rückhalt. Der im Ernstfall, wenn ich etwa eine Woche nach Australien muss, daheim den Laden schupft. Der kein zusätzliches Kind mit Ansprüchen ist und einem auch noch vorrechnet, wie viel Geld man verbraucht. Sonst verlasse ich mich doch lieber ganz auf meine eigene Kraft und auf das, was ich allein managen kann. Mein Mann war ZDF-Korrespondent, als unsere Tochter Rosa klein war. Er ist in der Nacht aufgestanden und hat Rosa mit auf seine
Korrespondenten-Touren geschleppt, auch wenn es schwer war. Ich glaube, deshalb sind wir noch verheiratet.
WOMAN: Es gibt aber auch den Trend zurück an den Herd!
MARGOT SCHMITZ: Ja, weil das sicher ist.
Was wir da empfehlen, „fürchte dich täglich, wie’s ausgeht“, ist ja auch nicht jedermanns Sache. Für die meisten Frauen ist eine Ehe-Karriere kein Ideal mehr. Das ist mit 40 fad, auch wenn man in der Villa in Kitzbühel residiert und den neuesten Töpferkurs macht. Nicht umsonst stürzen Frauen mit 45, 50 in die Depression ab, wenn sie so ein Modell gelebt haben.
MICHAEL SCHMITZ: Aber die jüngeren Männer heute wollen ohnehin erfolgsorientierte Frauen. Frauen, die selbst gut verdienen. Schlau ist das neue sexy. Damit auf Dauer zu leben, fällt ihnen aber auch nicht leicht. Denn die erfolgreichen Frauen wollen nicht immer nur zuhören, sondern, dass ihnen zugehört wird. Sie wollen nicht nur unterstützen, sondern unterstützt werden. Oder einfach mal nur in Ruhe gelassen werden.
WOMAN: Bleiben da die Kinder nicht auf der Strecke?
MICHAEL SCHMITZ: Nein, denn sie sehen mehr Rollen und müssen nicht die verdrängten Wünsche der Mutter erfüllen. „Wenn ich schon zu Hause bleibe, dann wirst wenigstens du …“ Und Kinder sehen dann auch: Alle packen an. Denn wenn der Herr Chef sitzt und sich das Bier bringen lässt, lässt sich’s der Sohn auch bringen. Aber so wird vom Einräumen des Geschirrspülers bis zum Einkaufen alles verhandelt. Zur Hochzeit würde ich meiner Tochter übrigens kein weißes Kleid, sondern ein Kindermädchen schenken.
WOMAN: Worüber klagen Männer eigentlich am meisten in der Therapie?
MARGOT SCHMITZ: Nicht im Mittelpunkt zu stehen, der Trottel zu sein, nicht wahrgenommen zu werden. „Ich werde nur geliebt für meinen Geldbeutel.“ „Ich kriege kein Kompliment.“ Das narzisstische Bedürfnis ist bei Männern und Frauen ziemlich gleich ausgeprägt. Jeder will der Wichtigste sein. Beziehung ist halt schwer, sicher die schwerste Nummer im Leben.

Von MIRIAM BERGER