Ein bloß 29-jähriger Ex-Consultant rechnet mit McKinsey und Co brutal ab. Der Junge fährt schweres Geschütz auf, hat bei aller Wildheit aber stichhaltige Argumente.
Der Junge traut sich was. Frontal greift er eine Kaste an, die in der Wirtschaft, weltweit, herausragt als Macht – die großen Strategieberater-Unternehmen, angeführt von McKinsey, Boston Consulting, Bain, Roland Berger und einer Handvoll weiterer Global Player. Er deklariert sie als Bande von unsicheren, überambitionierten Leistungsfanatikern („insecure overachievers“), die nur geschickt das Imagepflegen, sie könnten jedem Unternehmen den Weg zu dauerhaftem Erfolg weisen. Tatsächlich, so Benedikt Herles, Autor des kürzlich erschienen Buches „Die kaputte Elite“ seien die McKinseys und Co., Illusionskünstler, die mit „scheinbar wissenschaftlichen Methoden“ ihren Kunden die Beherrschbarkeit einer komplizierten Welt „vorgaukeln“. In Wahrheit täuschten sie mit aufgeblasenem Berater-Vokabular, voluminösen Präsentationen und uniformen Standard-Konzepten eine Kompetenz vor, über die sie gar nicht verfügten.
Wer, wie Herles, so schweres Geschütz auffährt und es, im Alter von 29, laut krachen lassen will, begibt sich in Gefahr, als marktschreierischer Wichtigtuer abgestempelt und nicht ernstgenommen zu werden. Tatsächlich riskiert der Autor eine große Lippe. Er provoziert. Er übertreibt. Er generalisiert.
Aber dahinter stecken kernige Argumente. Herles kennt die Kaste von innen. Er gehörte selbst zu ihr, war Berater in einem der führen- den Unternehmen, das eine beeindruckende Kundenliste ausweist. Rekrutiert, nach VWL-Studium und Promotion, als „high potential“, mit der Prognose einer steilen Karriere. Jetzt ist er ausgestiegen und rechnet ab.
Mit professioneller Schwarzmalerei, so seine drastische Betrachtung, strebe die Beraterbranche nach Aufträgen. Sie konfrontiere potentielle Kunden mit Schreckensszenarien, erfinde wechselnde Krisen, beschreibe die Welt als gefährlich komplex und unüberschaubar. Eifernd warne sie vor falschen Analysen und fatalen Irrtümern. Um sich sodann als Retter zu präsentieren. Als diejenigen, die den Durchblick haben, wissen wo es lang geht, die aus ihrer Werkzeugkiste die „tools“ hervorholen, mit der jede Unternehmens-Maschinerie auf Erfolg eingestellt werden kann.
Doch so smart sind sie dann wohl doch nicht. „Am Ende erzählten wir dem Kunden, was er hören wollte – oder was ihn dazu bringen sollte, noch mehr Beratungsprojekte einzukaufen“, fasst Herles zusammen. Letztlich gehe es darum, die in der Akquise vorweggenommenen Empfehlungen zu bestätigen. So werde gewährleistet, dass der Kunde bekomme, was er erwarte – und woran er Gefallen finde. Die verkauften Konzepte seien weniger analytisch, weniger auf dem konkreten Fall bezogen, vielmehr generisch – hergestellt nach der Methode „copy-paste“.
Jongliert wird gerne mit Zahlen. Was Unternehmens-Berater als messbar darstellen, besitzt Überzeugungskraft, für sie selbst und für ihre Kunden. Gemeinsam pflegen sie den Mythos, was nicht zu messen sei, sei auch nicht zu managen. Tatsächlich gibt es viele Faktoren, die wirtschaftliche Prozesse beeinflussen, die nicht zu messen sind. Das gilt in besonderer Weise für menschliche Faktoren: Management-und Führungs-Fähigkeit, kommunikative Kompetenz, Engagement, Verantwortung, Vertrauen. Solche Faktoren vernachlässigt die Branche lieber. Als reichte es, Prozesse zu definieren und mit Kennzahlen zu versehen.
Um dem Kunden gegenüber überzeugender aufzutreten, erzählt Herles, führen Berater Zahlen in ihre Präsentation ein, „die eigentlich gar nicht verfügbar sind“. Sie kreieren „fudge factors“. Übersetzen lässt sich die Wortschöpfung mit „Schummel-Faktoren“. Sie „bezeichnet in der Branche die zusätzlichen Berechnungsgrößen und Variablen, die in Tabellen und Kalkulationen nachträglich eingefügt werden, damit unten das gewünschte Ergebnis steht“. Es ist schlicht fauler Zauber.
„Als Illusions- Künstler bedienen Berater in Zeiten dramatischen Wandels ein Bedürfnis.“
Doch auch als Illusions-Künstler bedienen sie ein Bedürfnis. Gerade in Zeiten dramatischen Wandels und unüberschaubarer Risiken. Sonst könnten sie sich nicht verkaufen. Sie geben Rückhalt. Schwierige und schmerzhafte Entscheidungen lassen sich für Manager leichter darstellen, wenn sie von renommierten Consultants kommen. Oft holt ein Management Berater, um zu rechtfertigen, was es eh vorhat. Führen die Maßnahmen nicht zu den versprochenen Resultaten, können die Manager sich selbst von jeder Schuld freisprechen. Sie haben daher selbst ein Interesse, die Beratungs-Institute als unanfechtbare Instanz darzustellen. So versorgen sie deren Bedürfnis nach Image-Politur.
Wichtiger als evidenzbezogene Kompetenz ist für Berater das Ansehen, mit dem sie hausieren gehen können. Sie treten auf als die Besserwisser. Als Garanten für Erfolg. Dafür investieren McKinsey und Gefolge großes Geld. In ihr Marketing und, geschickt, schon mit ihrem Sponsering von Elite-Universitäten wie zum Beispiel Harvard. Nicht verwunderlich, dass die Lehrenden dort ihren Förderern Preis und Lob spenden statt sie mit kritischen Bemerkung zu konfrontieren. Zur Marken-Bildung gehört der Mythos (nahezu) irrtumsfrei zu sein.
Gleichzeitig liefern die Unis den Beratern ihren Nachwuchs. Besonders begehrt sind in der Branche angeblich kreative Köpfe und Querdenker. Doch Herles beschreibt, wie er seine Vorstellung rasch korrigieren musste. Die Einführung ins Unternehmen erlebte wie einen Initiations-Ritus, er nennt es „in einer Art Management-Überlebenscamp“ – mit Fallstudien, Gruppenarbeit, Vorträgen, gemeinschaftlichen Aktivitäten zur Stärkung des Wir-Gefühls“.
Das Ganze als Indoktrinations-Marathon. Für Schlaf blieben vier Stunden am Tag. Nachdem ihm während einer nachmittäglichen Session einmal die Augen zugefallen waren, musste er sich vor der Trainingsleitung rechtfertigen. Schlapp machen, durfte nicht vorkommen.
„Das Training war Gehirnwäsche.“ So sein Fazit. Newcomer müssen die Beratungs-Philosophie verinnerlichen. „Einmal erfolgreich rekrutiert, ist Köpfchen nicht mehr gefragt. Junge Berater müssen Excel und Power-Point beherrschen, sonst nichts.“
So spitzt er zu. Nicht ohne Übertreibung. Doch was er sonst schreibt, bestätigen mir Berater, die ich coache immer wieder. Pausen kennen sie in ihrem Arbeitsalltag kaum. Eine Deadline jagt die nächste. Gefordert sind sie oft von in der Früh bis in die Nacht. Ihr Liebesleben ist schwer strapaziert. Viele wissen nicht, wie sie Karriere und Beziehung in befriedigender Balance halten sollen. Darüber klagen ihre Partner. Und bleiben chronisch unverstanden zurück. Ausdauernde Aufsteiger nähren fast ausschließlich ihr Bedürfnis nach beruflichem Erfolg, nach Status, Geld und Ansehen. Sonstige Bedürfnisse verkümmern, werden kaum noch gespürt. Mit Anfang 30 sind viele Blitzstarter ausgebrannt, werden bedürfnis – blind, stumpf – oder sie steigen aus.
„Der Verschleiß für Consultants nimmt ganz handfest zu. Immer öfter geraten sie in eine Karrieresackgasse.“
Der Wettbewerb in der Branche ist hart. Und er nimmt immer mehr zu, weil viele Unternehmen nicht mehr so unbekümmert viel Geld für Beratung ausgeben wollen wie früher. Die großen Companys können mit ihren internationalen Netzwerken und viel Insider-Wissen noch eher punkten als die kleineren Firmen. Doch auch sie spüren erheblichen Druck. Bedrängt werden sie von Wirtschaftsprüfern, die sich zu Marktführern im Berater-Business entwickeln.
Die Unterschiede in den Leistungen der einzelnen Groß-Unternehmen sind tatsächlich gering als die Betreiber selbst es darstellen. Mit immer neuen Angeboten und „wordings“ versuchen sie „Alleinstellungsmerkmale“ zu kreieren, oft ohne ihren wirklichen Nutzen überzeugend darzustellen zu können. Im Zweifelsfall behaupten sie alles zu können. „Kein Thema bleibt ausgespart“, monierte kürzlich sogar die FAZ, und beklagte „wolkige Strategieversprechen“. Die Berater, resümiert das Blatt, seien „in die Sinnkrise“ geraten.
Die Boom-Zeiten sind für die Berater-Branche vorbei. Viele Firmen müssen wegen erschwerter wirtschaftlicher Bedingungen ihre Berater-Budgets reduzieren. Für die Kaste gibt es weniger zu verteilen. Umso williger bedienen sie mit enormem Zeiteinsatz jeden Kundenwunsch, damit kein Konkurrent sich in ihr Geschäft drängt.
Der Verschleiß für Consultants nimmt zu. Ganz handfest. Körperlich und seelisch. Zusätzlich geraten sie immer öfter in eine Karriere-Sackgasse. Der Durchlauf im System funktioniert nicht mehr wie früher. Der Aufstieg ist blockiert. Da fragen sich immer mehr Jüngere, ob sie überhaupt im richtigen Job sind.
Zu Klage-Schrift von Herles ist zu resümieren: Der Autor schwingt gern den großen Hammer. Er übertreibt, generalisiert, mitunter fahrlässig, provoziert lieber als abzuwägen. Festzuhalten ist allerdings: Der Junge traut sich nicht nur was, er hat, bei aller Wildheit, stichhaltige Argumente. Die nicht vom Tisch zu wischen sind. Selbst wenn sie mit einer gewissen Gehässigkeit vorgetragen werden. Etwa wenn er aufzählt, wie viele namhafte Ex-Berater gescheitert sind, als sie selbst Management-Aufgaben übernahmen.