Im Rausch der Macht

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Der Shakespeare-Klassiker „Macbeth“ ist zurück auf der Filmleinwand. Warum Macht verführt, wie sie uns verändert und ob wir an ihr scheitern.

Ein Mann auf dem Schlachtfeld, im Siegestaumel. Braver Diener seines Herrn. Dann eine Prophezeiung, die sich festsetzt wie ein Stachel im Fleisch: Warum nicht selbst König sein? Der Tanz um die Macht beginnt. Auf den Königsmord folgen Aufstieg und Fall eines einstigen Helden, der von Machtgier zerfressen wird. Auch Jahrhunderte nachdem Shakespeare sein Lehrstück niedergeschrieben hat, ist die Thematik aktuell. Michael Fassbender durchlebt aktuell im Kino Machtmechanismen, die noch immer funktionieren. Wo aber setzen sie an? Ein Experte gibt Einblicke:

Wie definieren Sie Macht?

MICHAEL SCHMITZ: Es gibt viele verschiedene Definitionen. Darunter die von US-Philosoph Alan Goldman: „Macht ist die Fähigkeit, zu kriegen, was wir wollen.“ Und damit hat er ein Verständnis von Macht, das uns alle angeht. Jeder von uns hat eigene Interessen und Ambitionen.

Macht hat viele Spielarten, wo begegnet sie uns im Alltag?

SCHMITZ: Alle Institutionen, die auch eine Hierarchie haben, haben eine Machtstruktur. Und jene, die eine Funktion innerhalb dieser Organisation einnehmen, haben Macht. Ein Manager über seine Angestellten, aber auch Richter, Lehrer, auch Wissen kann Macht sein. Auf einen Nenner gebracht: wenn ich Mittel und Ressourcen habe, die mir erlauben, anderen gegenüber meine Wünsche, meine Bedürfnisse, meine Ziele durchzusetzen.

Man sagt gern: Macht ist verführerisch. Was verspricht sie?

SCHMITZ: Wenn ich mich durchsetzen kann, erlebe ich das als Stärke – auch wenn das anderen nicht passt. „Macht verführt zu Korruption und absolute Macht korrumpiert völlig“, so ein Befund des englischen Politikers Lord Acton im 19. Jahrhundert. Das ist sehr zugespitzt, aber es gibt viele psychologische Studien, die nachweisen, dass Macht Menschen verändert – auch diejenigen, die mit hehren Zielen nach der Macht greifen, können sich in aller Regel den Verführungen der Macht nicht entziehen. Lady Macbeth befeuert ihren Mann in seinem Machtstreben.

Welches Biotop braucht Macht, um gut gedeihen zu können?

SCHMITZ: Ich kann durch Belohnung gefügig und oft auch loyale Gefolgsleute machen, weil sie durch die Teilnahme an der Macht einen Vorteil haben. Und diejenigen, die ich bestrafe, kann ich zur Anpassung zwingen.

Wie verändert Macht?

SCHMITZ: Diejenigen, die in einer Machtposition sind, neigen dazu, ihre eigene Meinung für wichtiger zu halten als die von anderen. Das heißt auch, dass sie anderen nicht mehr richtig zuhören, sie nicht mehr richtig ernst nehmen, beratungsresistent sind. Sie schreiben sich selbst einen größeren Anteil an Erfolgen zu, als ihnen gebührt. Damit erkennen sie auch die Leistung anderer nicht mehr richtig an. Mächtige haben für andere weniger Mitgefühl.

Wann kommt es zum viel zitierten Machtrausch?

SCHMITZ: Hat jemand einmal Macht gewonnen, erlebt er das auch als persönliche Genugtuung und kann nicht von ihr lassen. Um dieses Gefühl zu erneuern, gibt es die Tendenz, Macht immer stärker auszuüben. Macht hat also Suchtpotenzial.

Warum eskaliert es bei Macbeth?

SCHMITZ: Da wird Macht zu einem Rausch, der letztlich zu einem Blutrausch wird. Die unkontrollierte Gewalt entfaltet sich, weil es eben keine Gegenmacht gibt, die sie aufhalten könnte. Letztlich scheitern sie natürlich, denn die Geschichte lehrt uns, dass jede Macht, die versucht, sich absolut durchzusetzen, irgendwann an ihr Ende kommt. Aber bis dahin kann es relativ lange dauern.

Wie kann Macht gebrochen werden?

SCHMITZ: Man kann sie nur kontrollieren. Wenn jemand eine Funktion hat, die ihm Macht gibt, muss man möglichst klar beschreiben, wofür diese Funktion eingesetzt werden soll. So würden Sie von einem Bundeskanzler erwarten, dass das Ziel seiner Machtausübung sein muss, für die Gesellschaft möglichst viel Gutes zu tun. Aber man muss wissen, dass es die Tendenz bei Mächtigen gibt, sich immer darüber hinwegzusetzen. Und es ist doch ein auffälliges Phänomen, dass viele Aufsichtsräte nicht in der Lage sind, zu kontrollieren, was Vorstände von Unternehmen machen. Ein Skandal jagt den anderen und alle, die oben sitzen, sagen, sie haben von nichts gewusst – das ist schwer zu glauben.

Wie gehen Machtverwöhnte mit dem -verlust um?

SCHMITZ: Für viele ist das eine große Krise. Macht ist Teil ihrer Identität geworden, deshalb empfinden sie es als Identitätsverlust, als Beschädigung der eigenen Persönlichkeit. Für Politiker und Manager, die abgesägt werden, ist das persönlich schmerzhaft, weil sie sich an die Bestätigung gewöhnt haben, tolle Personen zu sein, weil sie Macht ausüben. Dabei haben sie nicht begriffen, dass diese mit der Rolle oder mit der Organisation zu tun hat, die sie vertreten.