Fragen an sich selbst

Die Psychiaterin Margot Schmitz, 61, und der Psychologe Michael Schmitz, 61, sind seit zwanzig Jahren miteinander verheiratet. Sie sagen: «Wer lieben will, muss lügen können.» Teil 1

Weltwoche-1Michael: Seitensprünge geschehen aus vielen Gründen, die nicht unbedingt mit der fehlenden Liebe zum Partner zu tun haben müssen. Neue Menschen bieten neue Reize. Es gibt Umstände, unter denen man solchen Reizen eher erliegt. Affären entstehen, weil einer es so wunderbar findet, attraktiv, spannend, toll gefunden zu werden. Das gibt dem Selbstbewusstsein neue Nahrung. Affären sollen – das erleben wir in unserer Praxis immer wieder – bisweilen auch helfen, über Enttäuschungen hinwegzukommen, die mit dem eigenen Partner nichts zu tun haben. Zum Beispiel Rückschläge im Beruf oder persönliche Sinnkrisen.
Margot: Die meisten Affären sind Episoden. Hat die Partnerschaft einen guten Zusammenhalt und eine Perspektive, sollte eine fremdgehende Person die andere nicht mit Bekenntnissen konfrontieren. Man kann sagen, dass in diesem Bereich zu viel gebeichtet wird. Vor allem, weil man das eigene Gewissen entlasten will.
Michael: Ebenfalls geben viele Menschen, die eine Affäre eingehen, im Stillen dem Partner dafür die Schuld. Irgendetwas soll an ihm unzureichend sein. So ist man selbst die Verantwortung für sein eigenes Verhalten los und spricht sich frei von jeder Schuld. Es ist immer besser, darüber nachzudenken, was man selbst getan hat und womöglich noch tun wird. Und dann sollte man überlegen: «Was will und kann ich anders machen?»
Margot: Besser als schonungslose Ehrlichkeit sind Fragen an sich selbst: Was hat einen in die Affäre getrieben? Was fehlt womöglich in der Partnerschaft? Was kann ich, was können wir tun, um die Beziehung spannender und leidenschaftlicher zu gestalten? Was ich sagen will: schwindeln bringt in der Partnerschaft oft mehr als schonungslose Offenheit, aber ehrlich sollte man mit sich selbst sein. Nicht in Ordnung ist das Verheimlichen, wenn der andere etwas ahnt und Fragen stellt: weil es ein Mangel an Respekt ist, den anderen in der Unklarheit zu lassen, und weil es der andere nicht verdient hat, mit seinen Zweifeln zu leben.
Michael: Beim Schummeln geht es übrigens nicht nur um Affären. Auch mit der Bewunderung darf man es ruhig übertreiben. Das tut jedem gut, auch wenn man merkt, dass es eine Übertreibung ist. Männer brauchen das vielleicht mehr als Frauen. Aber beide hören gerne, dass sie attraktiv, toll, intelligent, schön, charmant, unterhaltsam sind. So einfach funktioniert die Liebe eben manchmal auch.
Margot: Wenn man nicht mehr weiss, ob man den anderen noch liebt, dann muss schon längere Zeit etwas schiefgelaufen sein. Trotzdem ist es weder hilfreich noch sinnvoll, einem Partner einen solchen Satz an den Kopf zu knallen. Den anderen zu kritisieren, ist nicht in Ordnung, ihn abzuwerten und verächtlich zu machen, auch nicht. Wenn es Spannungen oder Enttäuschungen gibt, sollte man konkret ansprechen, was aus eigener Sicht nicht gut läuft, was verlorengegangen ist, was getan werden könnte, um es zurückzuerobern. Wenn eine Liebe lange bestanden hat, dann ist das meist aus guten Gründen der Fall – auch über diese sollte man nachdenken.
Michael: Wie erkennt man, dass die Liebe trotz allen Bemühungen vorbei ist? Wenn man gleichgültig wird und sich langweilig findet. Solange Partner noch streiten, ist es eher so, dass sie noch Wünsche aneinander haben.